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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Sie war rechtzeitig zurück gekommen. Sie hielt den Schlüssel in der Hand.
    »Was ist, wenn ich ihn morgen nicht loswerde?« fragte sie leise. Sie blieb am Tor stehen und schaute hinauf zu den leeren Fenstern. Wie an jenem ersten Abend, als Carlotta gesagt hatte: Komm zu mir. Triff deine Wahl.
    Aber du mußt ihn los werden. Morgen abend, bevor es dunkel wird. Sonst werde ich ihn töten.
    Sie stand auf der Veranda und redete laut mit niemandem. Ringsumher rieselte der Schnee. Schnee im Paradies – er fiel auf die gefrorenen Bananenblätter, wehte an hohen Bambusstangen vorbei. Aber was wäre das Paradies gewesen ohne die Schönheit des Schnees?
    »Du hast mich verstanden, oder? Du darfst ihm nichts tun. Du darfst ihm unter keinen Umständen etwas tun. Versprich es mir. Schließe einen Pakt mit mir. Kein Haar krümmst du Michael.«
    Wie du willst, mein Liebling. Ich liebe ihn ja. Aber in der Nacht aller Nächte darf er nicht zwischen uns kommen. Die Sterne geraten in eine perfekte Stellung. Sie sind meine ewigen Zeugen, so alt ich bin, und ich will, daß sie im vollkommenen Augenblick auf mich herab scheinen. Im Augenblick meiner Wahl. Wenn du deinen sterblichen Geliebten vor meinem Zorn bewahren willst, sieh zu, daß er mir aus den Augen geht.

 
    50
     
     
    Es wurde zwei Uhr früh, ehe sie alle gegangen waren. Noch nie hatte er so viele glückliche Menschen gesehen, Menschen, die so wenig ahnten, was in Wirklichkeit vorging.
    Wie sie gelacht hatten, als sie auf den verschneiten Steinplatten dahergerutscht und durch das Eis in den Rinnsteinen gestapft waren. Es hatte so viel Schnee gegeben, daß die Kinder sogar Schneebälle hatten machen können. Mit Mützen und Fausthandschuhen waren sie auf der gefrorenen Kruste, die den Rasen bedeckte, umher geschlittert.
    Sogar Tante Viv war über den Schnee entzückt gewesen. Sie hatte zuviel Sherry getrunken, und in solchen Augenblicken erinnerte sie ihn in beängstigender Weise an seine Mutter; Bea und Lily indessen, die ihre liebsten Freundinnen geworden waren, schien das nicht zu kümmern.
    Rowan hatte sich den ganzen Abend über vollkommen gezeigt, mit allen zusammen am Klavier Weihnachtslieder gesungen und mit ihnen vor dem Christbaum für Photos posiert.
    Und das war doch sein Traum, oder? Lauter strahlende Gesichter und klangvolle Stimmen, Menschen, die diesen Augenblick zu schätzen wußten – Gläser, die zu Trinksprüchen klingend aneinander stießen, Wangenküsse und die melancholischen Melodien der alten Lieder.
    »… so reizend von euch, daß ihr schon so kurz nach der Hochzeit…«
    »… alle versammelt, wie in alten Zeiten…«
    »Weihnachten, wie es sein sollte.«
    Und sie hatten seinen kostbaren Baumschmuck so sehr bewundert, und obgleich sie ermahnt worden waren, es nicht zu tun, hatten sie ihre kleinen Geschenke unter dem Baum aufgetürmt.
    Es hatte Augenblicke gegeben, da hatte er es nicht ausgehalten. Er war in den zweiten Stock hinaufgestiegen und zum Fenster hinaus auf das Vordach geklettert, und dort hatte er dann gestanden und auf die Stadt und die Lichter der City geblickt. Schnee lag auf dem Dach, Schnee schmückte Fenstersimse, Giebel und Kamine, und Schnee fiel dünn und wunderschön, soweit das Auge reichte.
    Es war alles, was er sich je gewünscht hatte, von reicher Fülle wie seine Hochzeit – und er war noch nie unglücklicher gewesen. Es war, als habe dieses Ding ihm die Hand um die Kehle gelegt. In seiner bangen Unruhe hätte er die Faust in die Wand schlagen können.
    »Du bist hier, Lasher. Ich weiß, daß du hier bist.«
    Etwas wich vor ihm zurück ins Dunkel, spielte mit ihm, glitt an schwarzen Wänden hinauf davon und zerrann, so daß er sich allein im matt erleuchteten Korridor fand.
    Wer ihn heimlich beobachtet hätte, der hätte ihn für einen Verrückten halten müssen. Er lachte. Ob Daniel McIntyre so ausgesehen hatte, wenn er im Alter betrunken umhergeirrt war? Und all die anderen Eunuchen-Ehegatten, die das Geheimnis gespürt hatten? Sie waren weggegangen, zu ihren Mätressen – und in den sicheren Tod, wie es schien -, oder sie waren in Bedeutungslosigkeit versunken. Was, zum Teufel, würde aus ihm werden?
    Aber das hier war nicht das Ende. Es war erst der Anfang, und sicher versuchte sie Zeit zu schinden. Er mußte einfach glauben, daß hinter ihrem wortlosen Flehen ihre Liebe darauf wartete, sich wieder in voller Wahrheit zu offenbaren.
    Endlich waren sie gegangen.
    Die allerletzten Einladungen zum Weihnachtsfestmahl

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