Hexenstunde
waren taktvoll abgelehnt worden, und man hatte sich gegenseitig zukünftige Treffen versprochen. Tante Viv würde am Heiligen Abend bei Bea essen, und sie sollten sich nur keine Sorgen machen. Dieses Weihnachtsfest durften sie allein verbringen.
Müde von der Anspannung und krank vor Sorge hatte er sich beim Abschließen Zeit gelassen. Jetzt war es nicht mehr nötig, zu lächeln. Nicht mehr nötig, zu schauspielern. Und, Gott, was für eine Anspannung war es wohl für sie gewesen?
Hatte es je ein so bitteres, einsames Weihnachtsfest wie dieses gegeben? Er hätte getobt, wenn das irgend etwas genützt hätte.
Eine Weile lag er auf dem Sofa und ließ das Feuer im Kamin herunterbrennen; lautlos sprach er mit Julien und Deborah und fragte sie, wie er sie heute abend schon tausendmal gefragt hatte: Was sollte er tun?
Schließlich ging er die Treppe hinauf. Im Schlafzimmer war es still und dunkel. Sie war zugedeckt, und er sah nur ihr Haar auf dem Kissen. Das Gesicht hatte sie abgewandt.
Wie oft hatte er an diesem Abend versucht, ihren Blick zu finden, ohne daß es gelungen war? Ob irgend jemand bemerkt hatte, daß sie nicht eine Silbe miteinander gesprochen hatten? Alle waren sich zu sicher, daß sie glücklich waren. So sicher, wie er selbst es gewesen war.
Leise ging er ans vordere Fenster und zog den schweren Damastvorhang zurück, um ein letztes Mal in den fallenden Schnee hinauszuschauen. Es war weit nach Mitternacht – der Heilige Abend hatte schon begonnen. Und heute abend würde dieser magische Augenblick kommen, da er eine Bestandsaufnahme seines Lebens und seiner Erfolge vornehmen und in Träumen und Plänen das kommende Jahr gestalten würde.
Rowan, es wird so nicht enden. Dies ist nur ein kleines Scharmützel. Wir wußten es von vornherein, so viel besser als die anderen…
Er drehte sich um und sah ihre Hand auf dem Kissen, schlank und schön, die Finger leicht gekrümmt.
Lautlos näherte er sich ihr. Er wollte ihre Hand berühren, ihre Wärme an seinen Fingern spüren, sie packen, als treibe sie auf einem finsteren, gefährlichen Meer davon. Aber er wagte es nicht.
Sein Herz schlug unregelmäßig, und er spürte den warmen Schmerz in seiner Brust. Er schaute hinaus in den Schnee, und dann fiel sein Blick auf ihr Gesicht.
Ihre Augen waren offen. Sie starrte ihn in der Dunkelheit an. Und langsam verzogen sich ihre Lippen zu einem breiten, bösartigen Lächeln.
Er war wie versteinert. Ihr Gesicht war weiß in dem matten Licht, das von draußen hereinfiel – hart wie Marmor, und das Lächeln war gefroren, und die Augen schimmerten wie Glasscherben. Sein Herz schlug schneller, und der warme Schmerz in seiner Brust breitete sich aus. Er starrte sie an und konnte den Blick nicht von ihr wenden, und dann schoß seine Hand vor, ehe er es verhindern konnte, und packte sie beim Handgelenk.
Ihr ganzer Körper wand sich, und die bösartige Maske zerfiel spurlos. Jäh fuhr sie hoch, erschrocken und verwirrt. »Was ist, Michael?« Sie schaute auf ihr Handgelenk, und langsam ließ er es los. »Ich bin froh, daß du mich geweckt hast«, sagte sie leise. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und ihre Lippen zitterten. »Ich hatte einen ganz schrecklichen Traum.«
»Was für einen Traum, Rowan?«
Sie saß still da und blickte starr vor sich hin; dann verschränkte sie die Hände, als zerrten sie aneinander. Dunkel war ihm bewußt, daß er diese verzweifelte Gebärde bei ihr schon einmal gesehen hatte.
»Ich weiß nicht«, flüsterte sie. »Ich weiß nicht, was es war. Es war dieser Ort – vor Jahrhunderten, und diese Ärzte waren dort versammelt. Und der Körper, der da auf dem Tisch lag, war so klein.« Sie sprach mit leiser, gequälter Stimme, und als sie zu ihm aufblickte, flossen ihr plötzlich die Tränen aus den Augen.
Ihm war flau vor Erleichterung und Schmerz, und er schob nur seine Hand in ihren Nacken; als sie den Kopf sinken ließ, mußte er sich anstrengen, um selbst nicht die Fassung zu verlieren.
Du weißt, daß ich dich liebe, du weißt, was ich dir alles zu sagen habe.
Als sie ruhiger geworden war, nahm er ihre beiden Hände, drückte sie fest und schloß die Augen.
Vertrau mir, Michael.
»Okay, Honey«, flüsterte er. »Okay.« Unbeholfen streifte er seine Kleider ab und schob sich zu ihr unter die Decke; er roch den warmen, sauberen Duft ihrer Haut, und mit offenen Augen lag er da und dachte, er würde niemals Ruhe finden, als er ihr Frösteln neben sich spürte, aber nach und nach, als
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