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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Kapelle, und sie spähten durch die Holzpforte in den Garten der Nonnen hinein. Ein geheimer Ort, sagte Deirdre, voll der lieblichsten Blumen.
    »Ich will nie wieder nach Hause«, erklärte Deirdre. »Es ist so friedlich hier.«
    Friedlich! Nachts, wenn sie allein war, weinte Rita. Sie hörte die Musikbox aus der Negerkneipe auf der anderen Straßenseite; die Musik stieg über die Ziegelmauer hinweg bis hinauf unters Dach in den dritten Stock. Manchmal, wenn sie dachte, daß alle anderen schliefen, stand sie auf und trat hinaus auf den schmiedeeisernen Balkon, und dann schaute sie zu den Lichtern der Canal Street hinüber. Ein rotes Glühen hing über der Canal Street. Ganz New Orleans amüsierte sich da draußen, und Rita war hier eingesperrt, und eine Nonne schlief hinter dem Vorhang an jedem Ende des Schlafsaals. Was würde sie nur tun, wenn sie Deirdre nicht hätte?
    Deirdre war anders gewesen als alle, die Rita je gekannt hatte. Sie hatte so wunderschöne Sachen gehabt – lange weiße Flanellnachthemden, mit Spitzenbesatz.
    Die gleichen trug sie jetzt, vierunddreißig Jahre später immer noch, wenn sie auf der Seitenveranda dieses Hauses saß »wie eine schwachsinnige Idiotin im Koma«.
    Und sie hatte Rita den Smaragdanhänger gezeigt, den sie auch jetzt auf dem weißen Nachthemd trug. Den berühmten Mayfair-Smaragd – obgleich Rita damals noch nichts von ihm gehört hatte. In der Schule hatte Deirdre ihn natürlich nicht getragen. In St. Ro’s durfte man überhaupt keinen Schmuck tragen. Und so eine große, altmodische Halskette hätte sowieso niemand getragen, außer vielleicht zum Ball an Mardi Gras.
    Sie erlaubte Rita, den Stein anzufassen, wenn sie in St. Ro’s auf der Bettkante saßen. Wenn keine Nonnen in der Nähe waren, die sie ermahnten, das Bett nicht zu zerknautschen.
    Rita hatte den Smaragdanhänger in den Händen gedreht. So schwer, die Goldfassung. Es sah aus, als ob auf der Rückseite etwas eingraviert wäre. Rita erkannte ein großes L. Es sah aus wie ein Name.
    »O nein, nicht lesen«, sagte Deirdre. »Es ist ein Geheimnis!« Und einen Moment lang sah sie aus, als ob sie Angst hätte; ihre Wangen waren plötzlich rot, ihre Augen feucht, und sie nahm Ritas Hand und drückte sie. Deirdre konnte man nicht böse sein.
    »Ist der echt?« fragte Rita. Mußte ein Vermögen gekostet haben.
    »O ja«, sagte Deirdre. »Er ist vor Unmengen von Jahren aus Europa gekommen. Hat damals meiner Ur-Ur-Ur-Urgroßmutter gehört.«
    Und sie lachten beide über die vielen Urs.
    Es klang so unschuldig, wie Deirdre es sagte. Sie prahlte nie. Es hatte nichts damit zu tun. Sie kränkte niemals jemanden. Alle liebten sie.
    »Ich habe ihn von meiner Mutter«, erzählte Deirdre. »Und eines Tages vererbe ich ihn weiter – daß heißt… wenn ich je eine Tochter habe.« Ihre Miene umwölkte sich besorgt. Rita legte den Arm um sie. Man wollte Deirdre einfach beschützen. Deirdre erweckte dieses Gefühl in einem.
    Sie habe ihre Mutter nicht gekannt, sagte Deirdre. »Sie starb, als ich noch ein Baby war. Es heißt, sie ist aus dem Dachfenster gefallen. Und ihre Mutter soll auch schon jung gestorben sein, aber sie reden nie über sie. Ich glaube, wir sind nicht wie andere Leute.«
    Rita war wie vom Donner gerührt. Niemand, den sie kannte, sagte solche Sachen.
    »Wie meinst du das, Dee Dee?« fragte sie.
    »Oh, ich weiß nicht«, sagte Deirdre. »Wir fühlen Dinge, spüren Dinge. Wir wissen es, wenn Leute uns nicht mögen und uns etwas antun möchten.«
    »Wer sollte dir je etwas antun wollen, Dee Dee?« fragte Rita. »Du wirst hundert Jahre alt, und du kriegst zehn Kinder.«
    »Ich liebe dich, Rita Mae«, sagte Deirdre. »Du bist reinen Herzens, das bist du.«
    »Ach, Dee Dee, nein.« Rita Mae schüttelte den Kopf; sie dachte an ihren Freund und an das, was sie miteinander getan hatten.
    Und als ob Deirdre ihre Gedanken gelesen hätte, sagte sie: »Nein, Rita Mae, darauf kommt es nicht an. Du bist gut. Du willst niemals jemanden verletzen, selbst wenn du wirklich unglücklich bist.«
    »Ich liebe dich auch«, sagte Rita, aber sie verstand nicht alles, was Deirdre ihr sagte. Und in ihrem ganzen Leben sagte Rita nie zu einer anderen Frau, daß sie sie liebe.
    Rita wäre fast gestorben, als Deirdre aus St. Ro’s verwiesen wurde. Aber Rita hatte gewußt, daß es passieren würde.
    Sie selbst sah den jungen Mann bei Deirdre im Garten des Konvents. Sie hatte gesehen, wie Deirdre nach dem Abendessen, als niemand darauf achtete,

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