Hexenstunde
heiraten?«
»Können sie nicht«, sagte Mr. Lonigan. »Wenn sie es tun, kriegen sie das Mayfair-Geld nicht. So wurde es vor langer Zeit geregelt. Man muß Mayfair heißen, um das Mayfair-Geld zu erben. Cortland Mayfair wußte das; er wußte alles darüber. Er war ein prima Anwalt, arbeitete für niemanden außer der Familie Mayfair; ich erinnere mich, wie er mir das einmal erzählte. Es war ein Vermächtnis«, sagte er. Wieder starrte er auf die Blumen.
»Was ist denn, Red?« fragte Rita.
»Ach, nur ‘ne alte Geschichte, die man sich hier erzählt«, sagte er. »Daß diese Vasen nie leer sind.«
»Na, Miss Carl bestellt doch die Blumen, oder?« fragte Rita.
»Nicht, daß ich wüßte«, sagte Mr. Lonigan. »Aber jemand stellt immer welche hin.« Dann schwieg er wieder, wie er es immer tat. Er sagte einem nie wirklich, was er wußte.
Als er ein Jahr später starb, war Rita so traurig, als habe sie ihren eigenen Vater verloren. Aber sie fragte sich auch immer wieder, welche Geheimnisse er wohl mit ins Grab genommen haben mochte. Er war immer so gut zu ihr gewesen.
Jerry war danach nicht mehr derselbe. Er war nervös, wann immer er mit den alten Familien zu tun hatte.
1976 kam Deirdre in das Haus in der First Street zurück, eine »besinnungslose Idiotin«, hieß es, infolge der Schockbehandlungen.
Pater Mattingly von der Pfarrei ging sie besuchen. Überhaupt kein Verstand mehr vorhanden. Genau wie ein Baby, erzählte er Jerry nachher, oder wie eine senile Greisin.
Rita ging sie besuchen. Es war Jahre her, daß sie und Miss Carlotta diesen furchtbaren Streit gehabt hatten. Rita hatte inzwischen drei Kinder. Sie hatte keine Angst vor dieser alten Lady. Sie kaufte ein hübsches weißes Seidenneglige für Deirdre.
Miss Nancy führte sie hinaus auf die Veranda.
»Schau, was Rita Mae Lonigan dir mitgebracht hat, Deirdre«, sagte sie.
Eine besinnungslose Idiotin. Und wie furchtbar, diesen schönen Smaragdanhänger an der Kette um ihren Hals zu sehen. Es war, als wollten sie sich über sie lustig machen, wenn sie sie so herausputzten in ihrem Flanellnachthemd.
Ihre Füße auf den blanken Dielen der Veranda sahen geschwollen und wund aus. Mit schiefem Kopf starrte sie durch das Fliegengitter. Aber davon abgesehen war sie immer noch Deirdre – noch immer hübsch, noch immer süß. Rita hielt es hier nicht aus.
Sie besuchte sie nie wieder. Aber es verging keine Woche, ohne daß sie herkam. Dann blieb sie vor dem Zaun stehen und winkte Deirdre zu. Deirdre nahm keine Notiz von ihr, aber Rita tat es trotzdem. Sie hatte den Eindruck, daß Deirdre immer kleiner und magerer wurde und daß ihre Arme nicht mehr im Schoß lagen, sondern sich hoch krümmten und an die Brust zogen. Aber Rita war nie nah genug, um sicher zu sein. Das war der Vorteil dabei, wenn sie nur am Zaun stehenblieb und winkte. Als Miss Nancy starb, sagte Rita, sie wolle zur Beerdigung gehen. »Um Deirdres willen.«
»Aber Schatz«, sagte Jerry, »Deirdre wird gar nicht merken, daß du da bist.«
Aber Rita kümmerte das nicht. Rita würde hingehen.
Was Jerry anging, so wollte er mit den Mayfairs nichts zu tun haben. Er haßte die alten Familien. »Zumindest war es diesmal ein natürlicher Tod – so heißt es wenigstens«, sagte er.
Als er seine Arbeit an Miss Nancy am Nachmittag beendet hatte, erzählte er Rita, es sei schrecklich gewesen, in dieses Haus zu gehen, um sie abzuholen.
Stammte geradewegs aus alten Zeiten, das Schlafzimmer da oben im ersten Stock. Die Vorhänge waren zugezogen, und zwei geweihte Kerzen brannten vor einem Bild der Schmerzensreichen Madonna. Das Zimmer stank nach Pisse. Und Miss Nancy hatte schon stundenlang tot in der Hitze gelegen, ehe er gekommen war.
Und die arme Deirdre hatte ganz verrenkt auf der Veranda gesessen, und die farbige Schwester hatte ihre Hand gehalten und laut den Rosenkranz gebetet, als ob Deirdre gewußt hätte, daß sie da war, von den Ave Marias ganz zu schweigen.
Miss Carlotta hatte Nancys Zimmer nicht betreten wollen. Sie war mit verschränkten Armen im Korridor stehengeblieben.
»Sie hat Blutergüsse, Miss Carl. An Armen und Beinen. Ist sie böse gefallen?«
»Sie hatte den ersten Anfall auf der Treppe, Mr. Lonigan.«
Junge, wie hatte er sich gewünscht, sein Vater wäre noch da! Dad hätte gewußt, wie man mit den alten Familien umzugehen hatte.
»Aber jetzt sag du mir mal, Rita Mae, wieso war sie nicht im Krankenhaus? Wir haben nicht mehr 1842! Wir leben heute!«
»Manche Leute
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