Hexenstunde
jetzt dir, Rita Mae.«
»Oh, was für eine schreckliche Geschichte«, flüsterte Rita. »Sich selbst die Augen auszukratzen.« Sie betete, daß Deirdre nie etwas davon gewußt haben möge.
»Na, du hast noch nicht mal alles gehört«, sagte Jerry und nahm noch einen Schluck Bourbon. »Als wir uns dranmachten, sie zu waschen, da fanden wir die Smaragdkette an ihr – dieselbe, die Deirdre heute trägt. Den berühmten Mayfair-Smaragd. Die Kette war ihr um den Hals gedreht, und das Ding hing hinten im Haar. Es war blutbeschmiert, und Gott weiß, was noch alles dranklebte. Ja, obwohl er auf dieser Welt schon alles mögliche gesehen hatte, war sogar Daddy geschockt, als er Haare und Knochensplitter abputzte. Und er sagte: ›Das ist nicht das erstemal, daß ich Blut von diesem Ding abwischen muß.‹ Das letztemal hatte er die Kette am Hals von Stella Mayfair gefunden, von Anthas Mutter.«
»Stella war von ihrem eigenen Bruder erschossen worden, nicht?«
»Ja, und das war das Schreckliche – zu hören, wie Daddy es erzählte. Stella war die Wilde in ihrer Generation. Schon vor dem Tod ihrer Mutter machte sie das alte Haus zum Rummelplatz – Lichter, Partys Nacht für Nacht, Schmuggelschnaps und sogar Musikkapellen. Der Himmel weiß, was Miss Carl und Miss Millie und Miss Belle sich dabei dachten. Aber als sie anfing, Männer mit nach Hause zu bringen, nahm Lionel die Sache in die Hand und erschoß sie. Eifersüchtig, das war er. Vor allen Leuten, mitten im Salon, sagte er: ›Ich bringe dich um, bevor er dich kriegt.‹«
»Was soll das heißen?« fragte Rita. »Bruder und Schwester gingen miteinander ins Bett?«
»Könnte sein, Schatz«, sagte Jerry. »Könnte sein. Niemand wußte, wer Anthas Vater gewesen war. Nach allem, was man wußte, konnte es Lionel gewesen sein. Es hieß sogar… Aber Stella war es egal, was die Leute dachten. Stella hat es nie etwas ausgemacht, daß ihr Baby unehelich war.«
»Na, verdammt, so was hab’ ich aber noch nie gehört«, flüsterte Rita Mae. »Schon gar nicht in der Zeit damals, Jerry.«
»So war’s aber, Schatz. Und manches davon hab’ ich nicht bloß von Daddy gehört. Lionel schoß Stella in den Kopf, und all die Leute im Haus wurden wild und zerschlugen die Scheiben der Verandafenster, um hinauszukommen, war ‘ne regelrechte Panik. Und was noch? Die kleine Antha war oben, und bei all dem Trubel kam sie herunter und sah ihre Mutter tot auf dem Fußboden liegen.«
Rita schüttelte den Kopf. Was hatte Deirdre gesagt, an jenem längst vergangenen Nachmittag? Und ihre Mutter soll auch schon jung gestorben sein, aber sie reden nie über sie.
»Lionel endete in einer Zwangsjacke, nachdem er Stella erschossen hatte. Daddy sagte immer, die Schuld brachte ihn um den Verstand. Unaufhörlich schrie er, der Teufel ließe ihn nicht in Ruhe, seine Schwester wäre eine Hexe gewesen, und sie hätte ihm den Teufel auf den Hals gehetzt. Schließlich starb er bei einem Anfall, verschluckte seine eigene Zunge, und kein Mensch konnte ihm helfen. Sie schlossen seine Gummizelle auf, und da lag er tot auf dem Boden und wurde schon schwarz. Aber zumindest kam der Leichnam säuberlich zugenäht vom Leichenbeschauer. Die Schrammen in Anthas Gesicht, zwölf Jahre später, die ließen Daddy dann nie mehr in Ruhe.«
»Arme Dee Dee. Ein bißchen davon muß sie gewußt haben.«
»Ja«, sagte Jerry. »Auch ein Baby kriegt manches mit. Das weißt du selbst. Als Daddy und ich damals Anthas Leiche von der Terrasse holten, da hörten wir die kleine Deirdre da drinnen heulen, als ob sie spürte, daß ihre Mutter tot war. Und niemand, der das Kind auf den Arm genommen, niemand, der es getröstet hätte. Ich sage dir, das kleine Mädchen war unter einem Fluch geboren. Hatte nie eine Chance, bei all dem, was in der Familie vorgegangen ist. Darum haben sie ihre kleine Tochter auch in den Westen geschickt: um sie von all dem wegzubringen. Und an deiner Stelle, Schatz, würde ich die Finger von der Geschichte lassen.«
Rita dachte an Ellie Mayfair. So hübsch. Wahrscheinlich saß sie in diesem Augenblick schon wieder im Flugzeug nach San Francisco.
»Es heißt, die Leute in Kalifornien sind reich«, sagte Jerry. »Deirdres Krankenschwester hat es mir erzählt. Der Stiefvater ist ein großer Anwalt, ein gemeiner Hund, macht aber ‘ne Menge Kohle. Wenn auf den Mayfairs ein Fluch liegt, dann ist die Kleine davor sicher.«
»Jerry, du glaubst doch nicht an Flüche«, sagte Rita. »Und das weißt du
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