Hexensturm
saß Aeval, groß und steif wie eine Eisskulptur. Ihr Haar war nachtschwarz, und ihre Haut erinnerte an Alabaster oder Porzellan. Sie trug ein hauchzartes Kleid aus Silberfäden, und als sie aufstand, klimperte es leicht wie die Glieder des feinsten Kettenhemds.
Ich kniete vor ihrem Thron nieder, und Delilah knickste.
»Camille, du warst erst zur Sonnenwende herbestellt. Was führt dich schon heute Abend vor meinen Thron?« Ihre Stimme hallte durch den Saal, während sie die Stufen vor dem Thron herabstieg. »Ist etwas geschehen?«
»So ist es, ja«, sagte ich, als ich endlich die Sprache wiederfand. Titania machte mich so nervös, dass ich mich kaum mit ihr unterhalten konnte – die gefallene, stets betrunkene Feenkönigin hatte ihre Kraft zurückgewonnen und strahlte wie die Sonne. Morgana war meine Cousine, aber ich traute ihr nicht mehr über den Weg, und jedes Wort aus ihrem Mund war ein Rätsel, hinter dem sich irgendeine eigennützige Absicht verbarg. Aeval jedoch – mit Aeval konnte ich reden, wenn ich den anfänglichen Groupie-Anfall erst mal hinter mich gebracht hatte. Ich hatte das noch niemandem eingestanden, aber wenn ich mich schon einem Hof der Dreifaltigen Drangsal anschließen musste – war ich froh, dass es ihrer sein würde.
»Dann erzähl mir, was vorgefallen ist.« Aeval deutete auf zwei Bänkchen in der Nähe des Throns. »Bitte setzt euch und esst mit mir.« Sie klatschte in die Hände, und eine Dienerin erschien aus dem Nebel mit einem Tablett voll Obst und Käse, Scheiben von Wildbret und mit Hagelzucker gesprenkelten Keksen.
Ich nahm begeistert einen Teller entgegen – die Eiseskälte der Nordlande hatte mich ebenso hungrig gemacht wie die Erschöpfung. Auch Delilah nahm einen Teller Käse und Fleisch an, doch ich wusste, dass sie in Wahrheit nur nach den Keksen schielte. Meine Schwester war süchtig nach Junkfood, und ich machte mir Sorgen, was dieses Zeug über Jahre hinweg bei ihr anrichten würde. Und falls wir tatsächlich je in die Anderwelt heimkehren würden – dort gab es keine Chips und herzlich wenige Süßwarenläden. Kekse schon, aber Snickers? Eher nicht.
Das Protokoll schrieb vor, dass wir erst ein paar Bissen essen mussten, ehe wir zur Sache kamen. Zwar stand Chases Leben auf dem Spiel, aber die Dreifaltige Drangsal nahm Protokoll und gute Manieren sehr ernst, und wenn wir mit der Tradition brachen, brauchten wir uns gar keine Hilfe zu erhoffen.
Nach ein paar Minuten stellte ich meinen Teller neben mich auf die Bank und wandte mich Aeval zu.
»Ich komme, um Euch um Hilfe zu bitten. Ich muss den Gefallen einfordern, den Ihr mir schuldig seid.« Die Worte blieben mir fast im Hals stecken, aber ich schaffte es, sie herauszupressen. Eine solche Schuld war eine wichtige Sache, und wenn ich sie nun aufgab, würde ich Aeval gegenüber wieder im Nachteil sein. Aber Chase war es wert.
Aeval neigte den Kopf. »Dann muss es in der Tat um eine schwerwiegende Angelegenheit gehen, wenn du dich an mich wendest. Was ist das für eine Sache, bei der dir nur die Königin der Nacht helfen kann?«
Ich schilderte ihr knapp den Vorfall im Tangleroot Park. »Was immer das auch war, es hat Chase verschlungen. Wir brauchen Eure Hilfe. Die Energie hat sich für mich ganz nach Fee angefühlt. Ich weiß nicht, wie – oder ob überhaupt – wir dieses Portal wieder öffnen können. Und ich bezweifle, dass Chase es allein wieder hinaus schafft. Wir brauchen Hilfe bei seiner Rettung.«
Aeval ließ die Hände auf den Knien ruhen und sah mir fest in die Augen. »Du würdest den Gefallen, den ich dir schuldig bin, einlösen, um euren Freund zu retten?«
»Ja, aber es geht um mehr als das. Dieses Portal … wir müssen wissen, wohin es führt, denn ich habe das Gefühl, dass wir es nicht zum letzten Mal gesehen haben. Bisher ist nichts hier herübergekommen, soweit uns bekannt ist, aber ich habe eine scheußliche Vorahnung: Wenn es sich das nächste Mal öffnet, könnte etwas in diese Welt gelangen. Und ich habe das Gefühl, dass wir es hier mit einem großen Übel zu tun haben.«
»Tatsächlich? Meinst du … ein dämonisches Übel?«
Ich dachte kurz darüber nach. Meinem Gespür nach ging es bei diesem Portal nicht um Dämonen, sondern um etwas anderes. »Nein, ich glaube nicht, dass ein Dämon dahintersteht. Aber dieser Sirenengesang … diese starke Feenenergie – das macht mich nervös.«
»Glaubst du wirklich, dass etwas Mächtiges dahintersteckt?« Aeval zuckte nicht mit
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