Hexensturm
Delilah keuchen.
»Ich kann es sehen«, sagte sie.
»Deine Schwester und ich haben es enthüllt.« Aeval tätschelte mir die Schulter. »Gut gemacht. Deine Kräfte sind stark – obwohl ich einige falschgestellte Synapsen spüre. Daran wirst du nie etwas ändern können, denn du wurdest so geboren. Aber die Fehlzündungen, die daraus entstehen, kann man umgehen. Im Lauf der Zeit wirst du das lernen, meine Tochter. Du kannst es lernen.«
Ihre Stimme war immer noch kühl und reserviert, doch unter dem eisigen Klang hörte ich, wie sacht eine Tür geöffnet wurde. Ich wandte mich lächelnd zu ihr um und sah sie zum ersten Mal herzlich lächeln. In ihren dunklen Augen wirbelten Macht und Glamour, und ich sah mich selbst darin gespiegelt. Halb menschlich, aber auch halb Fee. Obwohl mein Vater mich verstoßen hatte, war ich nun einmal seine Tochter, und dieses Erbe ließ sich nicht leugnen.
»Und jetzt?«
Aeval bedeutete mir, zu Delilah zurückzutreten. »Ich werde das Portal öffnen und euch Zugang verschaffen. Camille nenne ich den Zauber, mit dem sie es wieder öffnen kann, wenn es so weit ist – wenn ihr bereit seid, zurückzukehren. Ich hoffe, ihr findet euren Freund. Und wenn ihr die Hoffnung nicht aufgebt, werdet ihr überstehen, was euch dahinter erwartet. Die Mächte dort drin sind tief und finster, altes Moos an uralten Bäumen. Sie sind so stark wie das Schwarze Tier. Gebt gut acht, Mädchen, denn ihr wisst nicht halb so viel, wie ihr zu wissen glaubt. Tücke und Fallen sind den Alten Feen im tiefsten Herzen zu eigen.«
Sie hob die Hände zu dem Portal, und wir traten vor. Der Wirbel schimmerte wie eine runde Lamellentür in einem Science-Fiction-Film, und langsam tat sich in der Mitte eine Öffnung auf. Ich roch eine warme Sommerbrise und Torfmoor, und erneut überkam mich das Gefühl, von roten Augen begafft zu werden, das ich nicht wieder abschütteln konnte.
Ich warf Delilah einen Blick zu. »Sollten wir das wirklich allein machen?« Aber Aeval hatte uns befohlen, allein zu kommen, und dies war unsere Chance. »Die Frage erübrigt sich wohl.«
»Chase ist dadrin. Los. Wir können immer noch zurückkommen und Verstärkung holen, wenn wir nicht damit fertig werden, was uns dort erwartet.« Sie holte tief Luft. »Wir schulden Chase eine ganze Menge.«
»Ja, das stimmt.« Ich wandte mich Aeval zu. »Ihr werdet mir den Zauber nennen?«
Sie nickte, und zum ersten Mal schien sie zu zögern. »Ich will dich nicht verlieren, Camille. Sei vorsichtig. Sei argwöhnisch. Traue unserer Art nicht – du bist ja unter reinblütigen Feen aufgewachsen und bist selbst zur Hälfte Fee. Du weißt, wozu wir fähig sind, wenn wir uns selbst keine Skrupel auferlegen.« Sie beugte sich dicht an mich heran und flüsterte mir ins Ohr. »Der Spruch, der das Portal öffnet, lautet Akan vla’the. Er wirkt von beiden Seiten. Du musst das Portal sehen können, wenn du den Zauber sprichst, und deine Energie entsprechend einsetzen, um ihn wirksam zu machen – du weißt ja, wie das geht.«
Das wusste ich allerdings. Hexen wohnte eine innere Macht inne. Jemand, der keine Hexe war und das nicht gelernt hatte, konnte so viele Sprüche und Formeln murmeln, wie er wollte – es würde nichts geschehen. Doch mit der entsprechenden Ausbildung wurden die Worte zu Waffen, Schlüsseln, einer greifbaren Kraft, die man lenken konnte.
»Akan vla’the«, flüsterte ich langsam, um die Aussprache richtig über die Zunge zu bekommen. Ein Schauer überlief mich, und ich wusste, dass ich die magische Signatur des Spruchs gefunden hatte. Ich holte tief Luft und ließ den Atem langsam wieder ausströmen. »Ich bin bereit.«
»Dann geht, und mögen die Götter mit euch sein.« Aeval nickte uns zu.
Ich wandte mich an Delilah. »Lass mich vorgehen. Ich spüre die Energie deutlicher als du.« Und ohne weiter darüber nachzudenken, traten wir durch das Portal in die tiefe Dunkelheit. In die Wildnis.
Die Öffnung schloss sich hinter uns wie eine Kamerablende, und wir standen allein in einem üppigen Urwald. Es war kühl hier, aber nicht kalt, und Feuchtigkeit hing wie leichter Dampf in der Luft. Der scharfe Duft nasser Erde stieg mir in die Nase, der Geruch von säuerlichem Torfmoos und fauligem Holz.
Wir blieben stehen und sahen uns um. Als ich mich umdrehte, schien das Portal verschwunden zu sein, doch dann schloss ich die Augen und suchte nach seiner Signatur. Und da war es – genau da, wo ich es zuletzt gesehen hatte.
»Das Portal kann
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