Hexensturm
VBM, aber in ihrer Panthergestalt konnte ich es nicht mit ihr aufnehmen – das brauchte ich gar nicht erst zu versuchen.
Als wir die Schlucht betraten, blickte ich mich nervös um. Die Felswände zu beiden Seiten waren von Bäumen gekrönt, und ich konnte durch das dichte Geflecht ihrer Zweige nicht einmal den Himmel sehen. Der Nebel hing dicht über der Erde und stieg hier und da in Säulen auf, so dass ich den Boden auch nicht erkennen konnte. Zum Glück stellte sich heraus, dass die Schlucht sich nicht lange hinzog. Bald sah ich das Ende vor uns und dahinter offenbar dichten Wald. Ich lief langsamer und rief Delilah zu mir zurück. Dann hielt ich inne und untersuchte die Energie vor uns.
Heilige Scheiße.
Wir betraten das Reich eines finsteren Gottes. Nicht böse, aber wild – irgendeine uralte Waldgottheit. Die Energie war überwältigend maskulin und stürzte sich auf mich, lockte zur Paarungszeit. Herne … der Herr des Wildes. Der Herrscher des Waldes mit seinem Geweih, das sich in den Himmel reckte. Wir betraten seine Domäne. Hier würden wir sehr vorsichtig sein müssen. Die Götter waren nicht immer höflich und angenehm, und wir waren zwei Frauen, die das Reich eines sehr männlichen Exemplars betraten.
»Ist Chase da drin? Ist er hier entlanggekommen?«
Delilah schnaubte und nickte leicht. Sie schnupperte und folgte dann einem Pfad, der zur Seite abzweigte. Ich folgte ihr in den Wald und fragte mich, worauf wir uns hier wohl einließen.
Der Wald war dunkel und uralt. Älter als die Wälder von Finstrinwyrd zu Hause in der Anderwelt. Älter als der Tiefe Tann. Dies war der Urwald, der den Lenden der Götter entstammte. Urtümlicher Wald, die urtümlichste Energie.
Die Stille war ohrenbetäubend. Nur das stete Tröpfeln der Feuchtigkeit von den Ästen auf den Boden begleitete uns. Der Himmel verschwand erneut hinter den Nadeln und Zapfen an den Zweigen, die sich über dem Trampelpfad schlossen. Es roch durchdringend nach Moos und Pilzen, Baumharz und frisch zerwühlter Erde.
Und Torf. Wieder drang mir das Moor in die Nase.
Der Sumpfschlinger. Er musste ganz in der Nähe sein.
Delilah hielt inne und wich ein paar Schritte von mir zurück. Ein Schimmer hüllte sie ein, als sie die Verwandlung in ihre menschliche Gestalt begann. Sie hatte sicher irgendetwas bemerkt, was sie mir sagen musste. Vielleicht fühlte sie sich als Mensch an meiner Seite auch nur sicherer.
Ich ließ ihr einen Moment Zeit zum Verschnaufen, dann fragte ich. »Was ist? Hast du etwas aufgespürt?«
Sie nickte und flüsterte: »Wir werden verfolgt. Hinter uns ist irgendwas.«
Langsam und vorsichtig drehte ich mich um und streckte die Hand nach dem kristallenen Horn in meinem Rock aus. Hinter uns sah ich nur das dichte Unterholz zu beiden Seiten des Pfades. Nichts rührte sich. Aber als ich langsam den Atem ausströmen und mich in Trance sinken ließ, spürte ich tatsächlich jemanden dort draußen. Alt und mächtig. Kein Gott, aber viel stärker als wir.
Ich wechselte einen Blick mit Delilah und überlegte, was wir tun sollten. Den Verfolger ansprechen? Wenn er uns nichts Böses wollte, warum versteckte er sich dann? Vielleicht fürchtete er uns, weil er nicht wusste, was wir wollten. Falls er vorhatte, uns anzugreifen – könnte es uns einen Vorteil verschaffen, ihn zu überraschen, indem wir ihm entgegentraten?
Delilah wartete, bereit, meiner Entscheidung zu folgen. Ich machte einen Zauber bereit und rief die Energie der Mondmutter zu mir herab. Ihre Präsenz war auch hier deutlich und stark, und mir wurde klar, dass ich sie überall würde finden können, wo das Land wild war.
Wie ein Blitz fuhr ihre Energie in meinen Körper, ich holte noch einmal tief Luft und trat vor. »Zeig dich. Wir wissen, dass du da bist.«
Delilah rümpfte die Nase, als sie nach ihrem eisernen Dolch griff.
Gleich darauf teilte sich das dichte Unterholz, und ein dürrer kleiner Junge erschien. Reines Feenblut, das war auf den ersten Blick zu erkennen, und er war auf seine Art wunderschön, glich aber keiner Fee, die ich je zuvor gesehen hatte. Zwar stand er auf zwei Beinen, hatte zwei Arme und einen Kopf, und doch sah er alles andere als menschenähnlich aus. Ein Geweih ragte aus seinem Kopf hervor – zwei dünne Stangen mit je drei kleinen Sprossen. Er hatte schrägstehende Augen mit nur angedeuteten Lidern, und sie standen so weit auseinander, dass sein Gesicht etwas unförmig wirkte. Sein Haar war von einem satten Braun und fiel ihm
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