Hexensturm

mich an, dann warf er den Kopf in den Nacken, doch statt des erwarteten Schmerzensschreis stieß er grollendes Gelächter aus.
    Heilige Scheiße! Die Flammen hatten ihm nichts anhaben können. Er bewegte sich wieder auf mich zu, diesmal langsamer, achtsamer. Ich stopfte das Horn zurück in die Tasche und hob die Eisengeißel. Jetzt zuckte er merklich zusammen. Mir fiel auf, dass die Wunde an seiner Seite, wo Delilahs Dolch ihn getroffen hatte, bereits brandig geworden war.
    Delilah stand schon wieder, wenn auch etwas wackelig. Sie stürmte los und duckte sich, als er mit einem Arm hinter sich griff, um sie abzuwehren. Dabei wandte er den Blick nicht von meinem Gesicht ab.
    Ich versuchte, den Ausdruck in seinen Augen zu lesen. Gier. Verlangen. Habsucht. Er wollte das, was ich hatte. Er wollte das Horn. Und er würde alles tun, um es in seinen Besitz zu bringen. Eriskel hatte recht gehabt.
    Ich biss mir auf die Lippe. Feuer hatte nicht funktioniert. Aber vielleicht … Erde? Also zückte ich erneut das Horn und flüsterte: »Herrin des Landes, ich bitte Euch, helft mir.«
    Ihre Energie baute sich in dem Horn auf, strömte durch meine Hand und in meinen ganzen Körper. Ich erhaschte einen Hauch von Mariengras und Lavendel, Moos und satter Erde … Delilah duckte sich unter seiner Faust hindurch, ließ den Dolch durch die Luft sausen und brachte ihm eine zischelnde Schnittwunde bei. Im selben Moment flüsterte ich: »Die Erde soll ihre Hände erheben.«
    Der Boden unter unseren Füßen begann zu beben. Er wackelte und buckelte so heftig, dass Delilah und ich von den Füßen gerissen wurden. Aus kleinen Rissen, die sich in der harten, gefrorenen Erde auftaten, kamen dunkle Hände zum Vorschein, gebildet aus Baumwurzeln und ausgebleichten Knochen. Sie wanden sich, die langen Finger zuckten und tasteten und schlangen sich um die Beine des Geschöpfs.
    Der Nöck heulte auf und versuchte sie abzuschütteln, doch sie hielten ihn fest und zogen ihn langsam mit sich, hinab in die Erde, einen Fingerbreit nach dem anderen. Delilah rappelte sich auf, kam zu mir herüber und half mir auf die Beine.
    Ich wusste nicht, wie lange die Wurzeln ihn würden halten können – immerhin gehörte er zu den Alten Feen, die offenbar über diese Welt herrschten. Also warf ich nur einen letzten Blick auf ihn und sah noch mehr Hände, die sich aus dem Boden reckten und mithalfen, ihn in den Untergang zu zerren.
    »Komm«, krächzte ich. »Sehen wir zu, dass wir hier wegkommen. Schnell.« Wir drehten uns um und rannten los, doch das Geheul des Moorwesens verfolgte uns so lange, bis wir das Portal fast erreicht hatten. Hastig flüsterte ich das Passwort, versetzte ihm genau den richtigen magischen Drall, und das Portal öffnete sich. Wir sprangen hindurch, hinaus ins eisige, verschneite Seattle.

    Zu meiner großen Überraschung stand Aeval vor dem Portal. Als wir keuchend zu Boden sanken, kniete sie sich neben mich.
    »Steck diese Waffe lieber weg«, raunte sie mir zu. »Ich würde sie niemals anrühren, aber es gibt genug andere, die dir ohne Zögern die Kehle aufschlitzen würden, um an das Horn des Schwarzen Tiers zu gelangen.«
    Ich blickte erschrocken zu ihr auf. Natürlich wusste sie, dass ich das Horn besaß, aber ich hatte stets darauf geachtet, es die Dreifaltige Drangsal nicht sehen zu lassen. Aus den Augen, aus dem Sinn – zumindest hoffte ich, damit eine Katastrophe zu verhindern. Rasch stopfte ich es in meine Tasche und ließ mich dankbar von einem ihrer Leibwächter hochziehen, der mir die Hand hinstreckte. Ein weiterer Gardist half Delilah auf. Wir klopften den Schnee von unseren Kleidern, doch er haftete an Matsch und Kletten, die wir uns dort drüben eingefangen hatten.
    Aeval lächelte mich an, hypnotisch und gefährlich zugleich. »Ich bin nicht diejenige, bei der du um deine Schätze fürchten musst, mein Kind. Nun, habt ihr euren Freund gefunden?«
    Ich biss mir auf die Lippe. Erst jetzt wurde mir allmählich klar, dass wir Chase womöglich endgültig verloren hatten. Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Na ja, wir konnten seine Spur aufnehmen, aber ihr nicht bis zu ihm folgen. Irgendetwas hat ihn durch einen Feenring verschleppt – Fliegenpilze … und das konnten wir nicht riskieren. Ich glaube nicht, dass es der Sumpfschlinger war. Aber wir sind anderen Geschöpfen begegnet … was uns fast bis hierher verfolgt hat, weiß ich nicht genau …«
    Delilah und ich beschrieben Aeval den Mann aus dem Moor, und ihre Augen