Hexentage
beunruhigenden Gesichter in seinem Kopf bildete. An eben diesem Tag hielt er sich mit anderen Kindern an einem tiefen Fluß auf, in dem Monate zuvor zwei Jungen in ihrem Alter ertrunken waren. Das Wissen um die Gefährlichkeit des Gewässers zog die Kinder magisch an, und schon bald galt es als Mutprobe, dem Fluß zu trotzen und ans andere Ufer zu schwimmen.
|36| Auch Jakob legte sein Hemd ab, bereit in das Wasser zu springen, als der Blick auf die Strömung seinen Geist gefangennahm und ihn kurz der Wirklichkeit entriß. Einen Augenblick lang kämpfte er unter Wasser mit dem Tod. Er bekam keine Luft mehr. Seine Lungen schmerzten und drohten zu zerplatzen, während er unaufhaltsam in die dunkle Tiefe sank. Vor seinen ins Leere rudernden Händen erhaschte er im trüben Wasser die Bewegung einer zweiten Gestalt, die wie er verzweifelt strampelte, um der tödlichen Falle zu entkommen.
Die Vision entschwand ebenso schnell, wie sie aufgetreten war. Anschließend verzichtete er darauf, ans andere Ufer zu schwimmen. Niemals mehr war er seitdem in einen Fluß gesprungen, auch wenn er sich mit diesem ängstlichen Verhalten zahlreiche hämische Bemerkungen eingehandelt hatte. Jakob vermutete, daß das Bild in seinem Kopf ihn in den Körper eines der ertrunkenen Jungen versetzt hatte. Nicht die Qualen des Ertrinkens, die er in diesem Moment verspürt hatte, waren ausschlaggebend dafür, daß er sich fortan von Flüssen fernhielt, sondern die Erfahrung, das Erlöschen des Lebensfunkens zu spüren. Das Gefühl, vom Leben zum Tod überzuwechseln, hatte Jakob seitdem Höllenqualen bereitet. Viele Nächte lang war er schweißgebadet aus Alpträumen wachgeschreckt, in der Befürchtung, dem Tode nahe zu sein.
In den darauf folgenden fünf Jahren war es annähernd ein Dutzend Mal vorgekommen, daß er, wenn er sich unachtsamer Weise von der Bewegung des Wassers gefangennehmen ließ, sich in die Körper von Menschen versetzt sah, denen an dem Ort, an dem er sich zum Zeitpunkt des Gesichtes aufhielt, ein schweres Unglück geschehen war.
Jakob sprach mit niemandem über diese Vorgänge, denn eines stand ihm bereits nach seiner ersten Vision klar vor Augen: Der Teufel hatte sich seiner bemächtigt. Er hätte es wissen müssen, schon deshalb, weil er bereits als Kind wie selbstverständlich seine linke, die dem Teufel zugetane Hand bevorzugt hatte.
|37| Auf den Gebrauch der linken Hand konnte Jakob mit ein wenig Anstrengung verzichten, doch nun war der Antichrist in seinen Geist eingedrungen. Wie, so fragte Jakob sich, sollte es ihm jemals gelingen, den Satan aus seinem Kopf zu vertreiben?
Er seufzte, setzte sich auf das harte Bett und packte aus seiner Tasche die Bibel aus, die ihm Agnes vor seiner Abreise anvertraut hatte. Jakob nahm das Buch und drückte es wie einen schützenden Schild vor seine Stirn. Vielleicht, so schöpfte er Mut, würde es gelingen, mit Agnes’ Gebeten und der Kraft der Heiligen Schrift die Dämonen von ihm fernzuhalten.
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Kapitel 4
Jakob schlief auf seinem Bett ein, wurde aber schon bald von Laurentz geweckt, der ihm mitteilte, daß sie zur Abendtafel gerufen worden seien. Jakob ließ sich dies nicht zweimal sagen, denn seit dem kargen Frühstück in der Herberge hatte er an diesem Tag noch nichts gegessen.
Frau Peltzer ließ für ihre Gäste Lammbraten mit gekochten Bohnen in Rüböl, dazu reichlich Schwarzbrot und Obst auftragen. Es schmeckte hervorragend. Jakob und Laurentz zögerten darum nicht, ihre Teller mehrmals zu füllen.
»Ein Lob an Eure Köchin, aber eigentlich hatte ich gehofft, der Herr des Hauses würde uns Gesellschaft leisten«, erklärte Laurentz, während er mit den Fingern fettiges Fleisch von einem Knochen abstreifte.
Frau Peltzer, die nur Brot und Obst zu sich nahm, schaute verdrießlich drein und erwiderte: »Es tut mir leid, ich fürchte, mein Mann wird von seinen Aufgaben sehr in Anspruch genommen.« Sie verzog den Mund, eine kurze Pause entstand, dann fügte sie ernüchtert an: »Das Leben in dieser Stadt ist in den letzten Monaten nicht einfacher geworden.«
|38| Laurentz legte kurz seine Hand auf ihren Arm und bedachte sie mit einem mitfühlenden Blick. Dann schenkte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Essen und lud sich eine weitere Portion Ölbohnen auf.
Die Kirchturmuhr schlug bereits acht, als Wilhelm Peltzer eintraf. Jakob vernahm hinter der Tür eine energische Stimme, die dem Gesinde harsche Anweisungen zurief. Laurentz schien diese Stimme nicht fremd zu
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