Hexentage
Wein zu besorgen.
»Wir wollen uns ein wenig stärken«, meinte Voß. Sein Vorschlag wurde bereitwillig aufgenommen. Der Knecht verließ eilig das Turmzimmer und kehrte bald darauf mit zwei Krügen würzig duftenden Rotweins zurück.
Auch Jakob ließ sich Wein einschenken. Diese hochnotpeinliche Befragung ließ seine Hände zittern und seinen Kopf schmerzen. Begierig stürzte er einen Becher Rotwein die Kehle hinunter und verlangte nach einem zweiten.
Plötzlich stand Voß neben ihm. »Mir scheint, der Wein kommt Euch gelegen, um Eure Nerven zu beruhigen. Nun, allzuviel hattet Ihr ja bislang noch nicht zu tun, doch das wird sich nun ändern. Spitzt Eure Feder. Die Hexe wird bald gestehen.«
Jakob schaute betroffen zu Anna Ameldung hinüber. »Die Angeklagte hängt seit mehr als einer Stunde an diesem Seil. Wäre es nicht an der Zeit, eine gewisse Milde walten zu lassen?«
»Ergreift Ihr Partei für diese Hexe?«
»Ich möchte Euch nur an einen Passus aus der Carolina erinnern, in dem vermerkt wird, daß die Folter nach vernünftigem Ermessen anzuwenden sei.« Jakob brachte seinen Vorwurf so |226| leise vor, daß nur Voß ihn verstehen konnte. Es war nicht nötig, ihn bloßzustellen und dadurch unnötig zu verärgern.
Voß schaute verdrießlich drein. »Mir sind die Texte des Strafgesetzbuches durchaus bekannt, und ich frage mich, ob Ihr Euch darüber im klaren seid, daß es sich bei der Anklage gegen Frau Ameldung um ein außergewöhnlich schweres Vergehen handelt. Wir klären hier keinen Ehebruch oder einen simplen Betrug auf – diese Frau ist eine Zauberin, die einen Pakt mit dem Satan geschlossen hat. Um ein Geständnis von ihr zu erlangen, dürfen wir vor keinem Mittel zurückschrecken, auch wenn es uns noch so gräßlich erscheint, denn das Böse in ihr ist sehr stark. Es hilft ihr, gegen den Schmerz anzukämpfen, und darum werden wir im schlimmsten Fall den Punkt überschreiten müssen, an dem selbst das Böse vor den Qualen flieht und ihren Körper verläßt.«
»Aber sie könnte unschuldig sein …«
»Unsinn!« fiel ihm Voß ins Wort. »Das Wasser hat sie abgestoßen. Sie ist eine Hexe, und auch Ihr werdet schon bald davon überzeugt sein. Und sollte sie doch unschuldig sein, dann wird Gott ihr ohne Frage die Kraft schenken, diese Tortur zu überstehen.«
Niemand übersteht eine solche Tortur,
dachte Jakob wütend und biß sich auf die Lippe, um keine unbedachte Äußerung von sich zu geben.
Auch Voß würde einen Pakt mit dem Teufel gestehen, wenn man Euch lang genug dieser Pein aussetzen würde.
»Genug des Geschwätzes.« Voß leerte den Weinbecher, wandte sich an den Scharfrichter und sprach mit ihm, ohne daß Jakob die Worte verstehen konnte. Dann kehrte er zurück hinter seinen Tisch.
Zu Jakobs Überraschung wurde Anna Ameldung tatsächlich herabgelassen. Kraftlos stürzte sie zu Boden. Ihre von Krämpfen geschüttelten Arme zuckten. Doch Jakob, der angenommen hatte, daß man Anna eine kurze Erholung gönnen würde, hatte sich geirrt. Matthias Klare hob Anna auf die Knie, |227| löste ihre Fesseln und band ihr die Hände hinter dem Rücken zusammen.
»Habt Ihr uns etwas zu sagen?« fragte Voß, doch Anna schüttelte erneut nur den Kopf.
Voß nickte Klare zu, und der Scharfrichter befestigte an den Fesseln wieder das Seil, das an der Decke über die Rolle lief. Die Apothekerin ahnte offenbar, was geschehen würde, und schnappte ängstlich nach Luft. Der Scharfrichter und sein Knecht zogen am Seil, wodurch Annas Arme schmerzhaft hinter dem Rücken in die Höhe gezogen wurden, bis sie den Boden unter den Füßen verlor. Die qualvolle Strecklage ließ sie markerschütternde Schreie ausstoßen, die sich zu einem grellen Kreischen steigerte, als ihre Oberarmknochen mit einem grauenvollen Knacken aus den Gelenken sprangen. Anna strampelte in wilder Panik umher, obwohl sie die Schmerzen dadurch nur noch heftiger auflodern ließ. Sie hatte jegliche Kontrolle über sich verloren und kreischte, bis ihre Stimme versagte.
»Gesteht Eure Schuld!« brüllte Voß. Ein anderer Peinkommissar schnellte von seinem Stuhl hoch und verlangte: »Die Rute! Laßt sie die Rute spüren!«
»Nein!« würgte Anna Ameldung mir krächzender Stimme hervor und dann lauter: »Nein! Nein!«
»Dann gesteht endlich!«
Die Apothekerin zog eine schmerzhafte Grimasse und holte Luft. »Ich gestehe … ich gestehe alles, was Ihr wollt.«
»Habt Ihr einen Pakt mit dem Teufel geschlossen?«
»Ja!« Ihre Stimme wurde
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