Hexentage
paar Atemzüge gelang es Anna Ameldung den Schmerzen standzuhalten, dann war ihr Widerstand vollends gebrochen, und sie preßte undeutlich ein »Ja« hervor.
»Ihr gesteht also, die Schwarze Taufe vom Satan empfangen zu haben?«
Diesmal antwortete sie nur mit einem Nicken.
»Und die Satanstaufe ist auf dem Hexensabbat vollzogen worden?«
»Ja.«
»Entspricht es der Wahrheit, daß Ihr durch die Luft gefahren seid, um zu der heidnischen Zusammenkunft zu gelangen?«
»Ja.«
»Wie brachtet Ihr es fertig, zu fliegen?«
Keine Antwort.
»Benutztet Ihr dazu eine verzauberte Salbe?«
Ein Nicken.
Fürs erste war Voß zufrieden mit diesen Aussagen. Er gönnte der Apothekersfrau eine kurze Verschnaufpause und ließ sie aus der Strecklage befreien. Mit einem dumpfen Laut sackte sie zu Boden. Ihre Arme und Beine zuckten unter Krämpfen wie in einem grotesken Tanz hin und her.
»Schaut es Euch an, wie der Satan sich in ihr windet. Ein weiteres Zeichen Ihrer Blasphemie.« Voß strich sich durch das Haar und stellte sich neben Jakob.
»Das Weib ist störrisch, aber ich glaube, wir haben das Böse in ihr endlich gebrochen. Wenn wir die Folter noch ein wenig |231| verschärfen, wird sie uns bereitwillig jedes Detail ihrer häretischen Handlungen schildern. Notiert nun das, was sie bereits gestanden hat. Schreibt auf: Die Angeklagte Anna Ameldung gab an, sich auf einen Pakt mit dem Antichristen eingelassen zu haben, der durch das vom Satan persönlich durchgeführte Umtaufen besiegelt wurde. Sie erklärte zudem, vom Teufel eine verzauberte Salbe erhalten zu haben, mit deren Hilfe sie des Nachts durch die Luft zum Hexentanz ausgefahren ist.«
Jakob wollte zur Schreibfeder greifen, doch dann hielt er inne und sagte statt dessen: »Auf ein Wort unter vier Augen, Herr Voß.«
Voß runzelte unwillig die Stirn, entfernte sich aber mit Jakob einige Schritte von den anderen. »Was gibt es nun noch zu bereden?«
Jakob räusperte sich. »Ich möchte Euch darauf hinweisen, daß es Euch gemäß der Artikel 54 und 56 der Carolina untersagt ist, ein Geständnis anhand von Suggestivfragen zu erlangen. Ihr legt der Angeklagten die Antworten so vor, daß sie diese im Grunde nur zu bestätigen braucht.«
Voß verzog das Gesicht. »Ich … ich möchte Euch nur darauf hinweisen, daß …«
»Schweigt endlich!« unterbrach ihn Voß. »Euer ungebührliches Verhalten ist beschämend. Ihr zweifelt meine Kompetenzen an, und seid doch nur ein unreifer Bursche, der nicht die geringste Ahnung zu haben scheint, welches Ziel wir hier verfolgen. Wir treiben das Böse aus der Seele dieser Frau. So etwas kann nur durch strengste Härte und Unnachgiebigkeit gelingen. So abstoßend diese Prozedur Euch auch vorkommen mag, sie geschieht im höchsten Interesse dieser vom christlichen Weg abgekommenen Frau.« Die Augen des Ratsherrn funkelten warnend. »Und nun erledigt Eure Pflicht. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Jakob nickte betrübt, kehrte an das Pult zurück und kratzte mit der Feder Wörter und Sätze auf das Papier, die ihm vollkommen |232| absurd erschienen. Wie viele Schmerzen würde Anna Ameldung noch erleiden müssen, bis diese Seite vollgeschrieben war, und wie viele Seiten, gefüllt mit haarsträubenden Geständnissen, würden darauf folgen?
Erst als die Morgendämmerung anbrach, konnte Jakob den Bucksturm verlassen. Über eine Stunde lang lief er durch die Straßen, ohne recht die Welt um ihn herum wahrzunehmen. Ein leichter Nieselregen setzte ein, der ihm zwar Abkühlung verschaffte, aber die schreckliche Bilder nicht aus seinem Kopf bannen konnte.
Er hatte angenommen, die Schreckensbilder seiner Visionen hätten ihn in gewisser Weise gegen menschliches Leid abstumpfen lassen, doch das, was in dieser Nacht im Bucksturm geschehen war, hatte ihn stärker erschüttert als sämtliche Gesichter, die ihn in den vergangenen Jahren heimgesucht hatten.
Es war schlimm für ihn gewesen, zu sehen, wie die beiden Frauen den extremsten körperlichen Qualen ausgesetzt wurden, doch als noch grauenhafter hatte Jakob es empfunden, zu verfolgen, wie ihr Wille und ihre Selbstachtung gebrochen wurden. Die alte Frau Modemann hatte der Tortur sogar noch länger standgehalten als Anna Ameldung. Man hatte sie ebenso wie die Apothekerin gestreckt, ausgepeitscht und mit Gewichten beschwert. Als sie daraufhin noch immer beharrlich ihre Schuld geleugnet hatte, ließen die Peinkommissare ihr Bein- und Daumenschrauben anlegen. Erst dann gab sie ihren Widerstand
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