Hexenwahn
und hinter den viereckigen Fensterlöchern sahen wir das Zucken der Flammen, während aus den Öffnungen dicker Rauch hervorquoll. Wenn sich noch jemand in der Wohnung befand, war da nichts mehr zu retten. Das wußte ich auch, ohne ein Fachmann sein zu müssen. Die übrigen Bewohner des Hauses standen vermischt mit den Neugierigen um uns herum. Neben mir bemerkte ich einen leichenblassen älteren Mann, der aus geröteten Augen an der Hauswand hochblickte.
»Wohnte Miss Judy Gray dort oben?« erkundigte ich mich und erntete auf die Frage ein Nicken. Also doch. Eine Leiter wurde in die Höhe gefahren. Zwei Feuerwehrmänner standen dicht vor den obersten Sprossen. Ihre Helme glänzten. Einer hielt den dicken Wasserschlauch mit der Düse in der Hand. Ein Windstoß drückte den aus den Fenstern quellenden Rauch nach unten. Für Sekunden verschwanden die beiden Helfer in den schwarzgrauen Schwaden.
Als die Sicht wieder besser wurde, sahen wir nicht nur die Feuerwehrleute, sondern auch ein junges Mädchen. Es kletterte aus dem Fenster.
»Judy Gray!« zischte ich. »Verdammt, was macht sie?«
Auf der Fensterbank blieb sie hocken. Die Zuschauer konnten sie sehen. Sie schien zu warten, bis die Leiter so weit zu ihr hochgefahren war, daß sie auf die Sprossen klettern konnte. Eine Megaphonstimme durchdrang das Fauchen des Feuers.
»Bleiben Sie auf der Fensterbank, Miss! Wir kommen und helfen Ihnen auf die Leiter. Keine Panik, bitte!«
Judy hatte die Stimme gehört und hob ihren Kopf. Ihr braunes Haar flatterte im Wind. Sie klammerte sich am Fensterrahmen fest und warf ab und zu einen Blick in das Zimmer hinein, als würde sie dort jemand erwarten.
Dort tanzten aber nur die Flammen, wie ich annahm. Oder gab es noch einen anderen Grund?
Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, eine Gestalt dort zu sehen. Hohe Kapuze, lange Kutte. Allerdings konnte es auch eine Täuschung gewesen sein. Ich hatte viel hinter mir, vielleicht spielten mir die Nerven einen Streich.
Nein, ich hatte mich nicht getäuscht. In der Flammenhölle bewegte sich tatsächlich eine Gestalt. Auch Judy Gray hatte sie gesehen. Sie zuckte zurück. Für einen Moment sah es so aus, als wollte sie springen, dann rückte sie nur weiter nach außen und hielt sich fest. »John!«
Das war Suko, der mich da ansprach, und er sah das gleiche wie ich.
Einen Vermummten. Er tauchte hinter Judy auf, schleuderte beide Arme vor, traf sie in den Rücken, und Judy gelang es nicht mehr, sich festzuhalten. Sie rutschte ab und fiel.
Ein Schrei begleitete ihren Weg nach unten. Allerdings nicht ausgestoßen von Judy Gray. Dieser Schrei stammte aus zahlreichen Kehlen, und er drang über die Lippen der Gaffer. Unendlich lang kam mir der Fall des Mädchens vor. Es wirbelte mit Armen und Beinen, erinnerte mich manchmal an die grotesken Figuren eines Fallschirmspringers, und dann hörten wir alle das häßliche Geräusch, das entstand, als der Körper nahe dem Gehsteig auf die Straße klatschte.
Ich schaute nicht direkt hin, sondern warf einen Blick zu den Fenstern hoch. Der Vermummte war verschwunden.
Suko hatte meinen Blick bemerkt. »Um den Kerl kümmere ich mich!« rief er und verschwand schon.
Ich aber rannte nach vorn.
Leider war ich zu spät gestartet. Um das Mädchen herum standen bereits die Männer der Feuerwehr und die Polizisten. Kaum hatte ich die Hälfte der Distanz hinter mich gebracht, als abermals ein Schrei aufgellte. Diesmal voller Angst und Entsetzen ausgestoßen.
Das aus dem vierten Stock gefallene Mädchen stand unverletzt auf und lachte gellend…
***
Bill Conolly hatte eine Idee. Und immer wenn ihm so eine Idee durch den Kopf zuckte, verklärte sich sein Gesicht. Er wollte schon abfahren, als er den Zündschlüssel des Porsche losließ, als wäre er glühend heiß.
Celia, das gerettete Mädchen, hatte von Mayfair gesprochen. Und gerade der Name dieses Stadtteils erweckte in dem Reporter gewisse Assoziationen.
Mayfair gehörte zu den Londoner Gebieten, wo nicht die Ärmsten wohnten. Dort standen noch die alten Bürgerhäuser mit den manchmal verspielten Stuckfassaden, Erkern und Vorbauten. Im Innern hatte man die Räume umgebaut, und manche Zimmer erreichten fast die Größe von Sälen.
In Mayfair wohnten auch die Doyles. Harold Doyle aber war der Mann, der durch seine Redensarten den gesamten Fall erst richtig ins Rollen gebracht hatte. Warum, zum Henker, sollte Bill Conolly Doyle nicht einen Besuch abstatten? Die Adresse hatte er sehr schnell
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