Hexenzorn
blickte Marla zu Tlaltecuhtli hinauf, die jetzt fast zehn Meter groß war und sich weiterhin in jede Richtung ausdehnte, dabei Büsche, Statuen und Brücken zerquetschte, umwarf und zum Einstürzen brachte. Die Bronzefarbe des Buddha hatte sich zur Farbe grünlichen Fleisches verändert, und Gliedmaßen wuchsen aus dem unförmigen Körper. Es war noch kein Anzeichen von Mutex’ Bewusstsein zu erkennen, aber er war da drinnen, B. wusste es, und sobald der Körper des Monsters erst einmal bereit war, würde er genauso eifrig wie gezielt zuschlagen, ganz wie der alte Mutex es getan hatte. B. erkannte bereits die Umrisse des gigantischen Froschmonsters, das er und Marla nach ihrem Besuch bei der möglichen Hexe gesehen hatten. Marla starrte zu dem Ungeheuer hinauf und wich zurück, ihr Gesicht ohne erkennbare Emotionen. Dennoch war B. sicher, dass sie wusste, dass Mutex’ Bewusstsein immer noch am Leben war. Weniger sicher war B., was Marla jetzt noch tun konnte - wenn es überhaupt noch irgendeine Rettung gab.
»Ich wünschte …«, sagte Cole und blickte hilflos auf die goldenen Frösche zwischen sich und Marla. Dann ballte er die Hände zu Fäusten. »Ich wünschte, ich könnte etwas tun.«
Rondeau starrte zu dem Froschmonster hinauf, und zum
ersten Mal sah er alles andere als gelangweilt aus - nämlich vollkommen entsetzt.
Ch’ang Hao trampelte systematisch auf den Pfeilgiftfröschen herum und fegte dann ihre Überreste beiseite. Er stellte sich neben Marla, und zusammen beobachteten sie das sich aufblähende Froschmonster, als wären sie Landvermesser am Fuße eines Berges. Marla sagte etwas zu Ch’ang Hao, doch B. konnte sie nicht hören. Der Schlangengott zerquetschte einen weiteren Frosch unter seinen Füßen und schüttelte den Kopf.
Nachdem sich die fremde Intelligenz wieder zurückgezogen hatte und Marla nicht mehr damit beschäftigt war, nach der geeignetsten Methode zu suchen, wie sie Ch’ang Hao für seine Drohungen töten könnte, sagte sie: »Ich bin im Arsch.« Sie musste regelrecht brüllen, damit ihre Stimme bei all dem Lärm, den Tlaltecuhtli machte, dem Stöhnen und dumpfen Ächzen des sich ausdehnenden Fleisches, überhaupt zu hören war.
»Ich sehe Zehen«, sagte Ch’ang Hao, und seine tiefe Stimme übertönte den Lärm mit Leichtigkeit. »Und den Ansatz von Fingern. Mäuler erscheinen an Ellbogen und Knien. Sobald diese Kreatur ihre endgültige Gestalt angenommen hat, wird sie mit dem Töten beginnen. Und sobald sie zu töten beginnt, wird sie weiter wachsen. Das ist der Lauf der Dinge bei solchen Göttern.« Er klang vollkommen gleichgültig, und Marla vermutete, dass es ihm tatsächlich egal war - es kümmerte ihn nicht, wenn die Menschheit und all ihre Errungenschaften vernichtet wurden.Vielleicht hoffte er es sogar.
»Ich kann dieses Ding nicht bekämpfen«, sagte Marla.
»Genauso gut könnte ich die Golden Gate Bridge angreifen oder versuchen, den Mond umzubringen. In ein paar Minuten wird uns dieses Scheißvieh schon allein wegen seiner Größe zerquetschen. Außerdem steckt in Wahrheit Mutex da drinnen - die echte Tlaltecuhtli habe ich gerade in Stücke gerissen, ich sah es in ihren Augen. Die Arme war völlig verwirrt, hatte keinen blassen Schimmer, was hier eigentlich vor sich geht. Sie tat mir sogar ein bisschen leid.« Zumindest jetzt, denn während Marla sie getötet hatte, hatte sie kaum etwas gefühlt; das kam immer erst etwas später, wenn die Wirkung der violetten Seite nachließ.
»Nur wenige Menschen können von sich behaupten, sie hätten einen Gott getötet«, sagte Ch’ang Hao. »Selbst wenn es nur zufällig geschah. Ihr fügt Eurer Person ein unverkennbares Merkmal nach dem anderen hinzu.« Haos ausdrucksloser Tonfall machte seinen Hass auf Marla deutlicher, als jeder Wutausbruch es vermocht hätte.
»Ich weiß, dass deine Meinung von mir nicht so hoch ist, wie sie es sein könnte«, sagte Marla, »und ich wünschte, ich könnte etwas dagegen tun.« Sie wich vor dem sich weiter aufblähenden Leib des Monsters zurück, und Ch’ang Hao folgte ihr.
»Ich begreife voll und ganz, was Ihr seid, Marla. Ich sehe die Beweggründe für Eure Taten. Dennoch tragen sie Euch keine Zuneigung von mir ein, und ich werde Euch töten, falls ich Gelegenheit dazu habe. Die Aussicht, dass dieses Froschmonster Euch vorher tötet, stimmt mich traurig.«
Marla nickte und dachte über ihre verbliebenen Optionen nach - es blieb nur noch eine einzige.
Die Waffe ist nicht
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