Hexer-Edition 02: Als der Meister starb
und ohne auch nur mit einem Wimpernzucken zu verstehen zu geben, dass ich die Gefahr bemerkt hatte. Ich prallte auf die Schulter, rollte mich ab und kam mit einem kraftvollen Sprung wieder auf die Füße. Blitzschnell wich ich ein paar Schritte zurück, erreichte eine geschützte Ecke und blieb, leicht vornübergebeugt und mit gespreizten Beinen stehen. Meine Linke schwenkte die Aktenmappe wie einen Schild, während die andere Hand mit einer blitzartigen Bewegung den silbernen Knauf meines Spazierstockes löste. Das Florett, das darin verborgen war, sprang wie von selbst in meine Hand. Der rasiermesserscharf geschliffene Stahl bildete eine blitzende, tödliche Barriere vor mir.
Es gab allerdings nichts, wovor sie mich hätte beschützen können.
Der Schalterraum war nach wie vor leer. Die einzigen Lebewesen, die sich darin aufhielten, waren ich und der Kassierer.
Ein Kassierer, der mich jetzt aus ungläubig aufgerissenen Augen anstarrte und vergeblich nach Worten rang. Sein Blick irrte zwischen mir und der Stelle, an der ich noch vor Sekunden gestanden hatte, hin und her.
»Sir …«, sagte er unsicher, »wenn ich vielleicht fragen dürfte …«
Ich ignorierte ihn, lauschte angestrengt und sog hörbar die Luft ein. Die Schritte waren verstummt, im gleichen Moment, in dem ich mich zur Seite geworfen hatte. Der seltsame Geruch war noch spürbar, aber es war nicht mehr als ein schwacher Hauch des ursprünglichen Gestankes. Nein, wir waren wieder allein. Was immer sich an mich angeschlichen hatte, war verschwunden.
»Ich dachte, ich … hätte Schritte gehört«, antwortete ich ausweichend. »Hinter mir.«
»Schritte? Hier?« Der Ausdruck auf dem Gesicht des Kassierers änderte sich erneut. Jetzt hielt er mich wohl für total übergeschnappt. Aber ich hatte die Erfahrung gemacht, dass die besten Lügen immer die sind, die sich so dicht wie möglich an der Wahrheit bewegen.
»Man muss vorsichtig sein, wissen Sie?«, sagte ich lächelnd. »Immerhin trage ich eine Menge Geld mit mir herum.« Langsam senkte ich das Florett, schob es in seine Hülle zurück und schraubte den Knauf wieder fest. Die Waffe war eine glatte Fehlkonstruktion. Sie ließ sich im Notfall blitzschnell ziehen, aber sie wieder zusammenzubekommen, war fast ein Ding der Unmöglichkeit. Ich brauchte drei Minuten, schnitt mich dabei einmal in den Daumen, brach mir drei Nägel ab und degradierte mich in den Augen des Kassierers wahrscheinlich endgültig zum Trottel.
Endlich hatte ich die Waffe unter meinem Umhang verborgen. Der Kassierer sah mir mit steinernem Gesicht dabei zu, aber es war wahrlich nicht schwer zu erraten, was hinter seiner Stirn vorging. So schnell ich konnte, raffte ich die Geldscheine auf, die mir bei meinem Sprung aus der Tasche gefallen waren, kritzelte meinen Namen unter die Quittung und beeilte mich, das Bankgebäude zu verlassen.
Erst als ich wieder auf der Straße stand, spürte ich, wie muffig und schlecht die Luft in der Bank gewesen war. Ich atmete ein paarmal tief ein, entfernte mich ein paar Schritte von dem niedrigen Holzbau und wandte mich um.
Für einen Moment glaubte ich hinter dem Schaufenster eine rasche, huschende Bewegung wahrzunehmen. Aber der Eindruck verging, ehe ich mir seiner völlig sicher sein konnte, und alles, was ich in der hohen, teilweise bemalten Fensterscheibe erblickte, war mein eigenes, verzerrtes Spiegelbild.
Ich schüttelte den Kopf, fuhr mir nervös mit dem Handrücken über die Augen und wandte mich wieder um; eine Spur zu hastig, wie ich selbst fand.
Ich ging weiter, sah mich neugierig um und entdeckte den Laden, von dem der Bankangestellte gesprochen hatte, auf der anderen Straßenseite. Er war überraschend groß. Seine Schaufenster waren vollgestopft mit allen erdenklichen Dingen und Waren, und über der Tür schaukelte ein liebevoll handgemaltes Schild mit der Aufschrift:
Leyman – Kolonialwaren aller Art
Ich zögerte immer noch. Alles in mir drängte danach, sofort ins Hotel und zu Bannermann zurückzugehen. Aber andererseits brauchte ich frische Kleider – ich konnte nicht erwarten, dass mich die Leute freundlich behandelten, wenn ich wie ein Landstreicher dahergelaufen kam – und mich noch dazu wie ein Verrückter benahm.
Die Aktenmappe fest unter den linken Arm geklemmt, betrat ich den Laden, schloss die Tür sorgfältig hinter mir und sah mich um. Trotz der deckenhohen Schaufenster, die sich um zwei der vier Wände zogen, war der Raum nur unzureichend erhellt. Die Fenster
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