Hexer-Edition 02: Als der Meister starb
deutlich zu erkennen.
Es war ein Mädchen.
Im ersten Moment schätzte ich sie auf achtzehn, vielleicht neunzehn Jahre, dann, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte und sich zu Bannermann und mir herumdrehte, erkannte ich, dass sie viel jünger sein musste.
Vielleicht täuschte ich mich aber auch. Für einen Moment kreuzten sich unsere Blicke, und ich las in ihren dunklen Augen einen Ausdruck solchen Ernstes, dass ich meine erste Schätzung schon wieder für realistischer zu halten begann.
Plötzlich lächelte sie, und es war …
Wissen Sie, wie es ist, wenn nach wochenlangem Regen zum ersten Mal ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke bricht, oder wenn man nach einem langen, kalten Winter das erste Mal wieder Vogelstimmen hört, wenn die Sonne aufgeht?
So war ihr Lächeln. Sie sagte kein Wort, sondern lächelte Bannermann und mich nur an, aber sie hatte eine Art zu lächeln, die einem Mann in einer Sekunde die Sinne verwirren konnte.
Fast eine Minute lang starrten Bannermann und ich sie nur an, und vermutlich hätten wir uns noch länger zum Narren gemacht und sie angeglotzt, wenn sie nicht schließlich von sich aus das Schweigen gebrochen hätte.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte sie. »Sie sind in Sicherheit. Sie werden nicht wiederkommen.«
Ich schluckte, tauschte einen Hilfe suchenden Blick mit Bannermann, versuchte aufzustehen und stieß mir abermals den Kopf an einem Balken.
»Ich …«, stammelte ich. »Ich meine, wir …«
»Warum setzen Sie sich nicht erst einmal?«, unterbrach sie mich, noch immer lächelnd, aber jetzt auf eine andere, fast spöttische Art. »Die Gefahr ist vorüber. Und wir haben Zeit.« Sie unterstrich ihre Worte mit einer einladenden Geste, eilte leichtfüßig zur Chaiselongue und ließ sich darauf nieder. Bannermann und ich folgten ihr, wenn auch zögernd und in gehörigem Abstand.
»Warum haben Sie das getan, Miss?«, fragte Bannermann zögernd. »Sie … Sie werden furchtbaren Ärger bekommen, wenn herauskommt, dass Sie uns geholfen haben.«
»Hören Sie mit dem albernen Miss auf«, sagte das Mädchen lächelnd. »Mein Name ist Priscylla – Pri, für meine Freunde. Und ich werde keinen Ärger bekommen, wenn Donhills Bande herausfindet, dass ich Sie verborgen habe, Captain Bannermann. Sie werden mich umbringen.«
»Um …« Ich stockte, starrte sie erschrocken an und suchte einen Moment vergeblich nach Worten.
Priscylla winkte ab. »Machen Sie sich keine Sorgen, Mister Craven.«
»Robert.«
»Robert, gut«, lächelte Priscylla. »Sie sind sicher hier. Der Mann, der diesen Geheimraum gebaut hat, lebt nicht mehr. Außer mir weiß niemand von diesem Zimmer. Ist es wahr, dass Sie Leyman umgebracht haben, Robert?«
Die Frage schockierte mich. »Ich … nein«, sagte ich verwirrt. »Er ist tot, aber …«
»Schade«, sagte Priscylla ruhig. »Dieser Mistkerl hätte es verdient.«
»War das Ihr Ernst?«, fragte Bannermann, als hätte er ihre letzten Worte gar nicht gehört. »Dass sie Sie umbringen würden?«
Priscylla nickte. »Ja. Sie kennen Donhill nicht. Er ist kein Mensch, Captain, sondern ein Ungeheuer.«
»Aber warum?«, fragte Bannermann verstört. »Ich meine – Robert und ich haben ihm nichts getan.«
Priscylla lachte, aber es klang bitter. »Sie sind Fremde, Captain, das reicht. Donhill hat schon Dutzende von Männern und Frauen getötet.«
»Donhill? Aber er ist …«
»Polizeibeamter?« So, wie Priscylla das Wort aussprach, hörte es sich an wie eine Beschimpfung. »O ja, das ist er, Captain. Der Mann, der in Goldspie für Ordnung sorgt, nicht wahr? Wie finden Sie unser kleines Städtchen? Hübsch, nicht?«
Bannermann antwortete nicht, aber Priscyllas Frage war auch keine von der Art gewesen, auf die man wirklich eine Antwort erwartete. »Goldspie«, murmelte sie. »Ein hübsches kleines Städtchen an der Küste, wie? Dieser ganze Ort ist eine einzige Mordgrube, Captain.« Sie setzte sich auf, beugte sich ein Stück vor und sah erst Bannermann, dann mich auf sonderbare Weise an. »Sie haben mich gefragt, warum ich Sie gerettet habe, Captain? Ich will es Ihnen sagen. Ich will hier weg. Ich will raus aus dieser Hölle, weg von hier, so weit wie möglich. Und dazu brauche ich Ihre Hilfe.«
Allmählich begann ich zu begreifen. »Sie … wollen Goldspie verlassen?«
Priscylla nickte. »Ja. Ich … habe schon ein paarmal versucht, zu fliehen, aber sie haben mich immer wieder eingefangen. Donhill ist ein Teufel, Robert. Und sein Arm reicht weit.
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