Hexer-Edition 02: Als der Meister starb
auch nicht zu Ende.
Durch das dünne Holz der Schrankwand waren Schritte zu hören. Schwere, schlurfende Schritte, begleitet von einem widerwärtigen, kratzenden Geräusch, einem Laut, als schleiften harte Krallen über den Boden. Dann hörten wir das Atmen.
Und es waren keine menschlichen Atemzüge …
»Gott!«, keuchte Bannermann. »Das Ungeheuer!«
Priscylla erbleichte, starrte erst Bannermann und dann mich an und blickte dann wieder zum Ausgang. Ein leichter, süßlicher Geruch lag plötzlich in der Luft. »Wovon … reden Sie, Captain?«, fragte sie unsicher.
»Das Monster«, stammelte Bannermann. »Das … das Ding, das Bellings getötet hat …« Seine Hände schlossen sich so fest um den Weinbecher, dass das tönerne Gefäß mit einem hellen Knacken zerbrach und sich der Sherry über seine Hose ergoss. Er merkte es nicht einmal.
»Wir müssen raus hier!«, sagte ich. »Gibt es einen zweiten Ausgang?«
Priscylla schüttelte stumm den Kopf. Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren.
»Dann durch das Dach. Helft mir!« Ich sprang auf, hielt mich mit der Linken an einem Balken fest und stellte mich auf die Zehenspitzen, um mit der anderen Hand die Dachziegel zu erreichen.
Sie saßen fest, als wären sie einbetoniert.
»Verdammt noch mal, helft mir. Wir müssen raus!«, keuchte ich. Für einen Moment spürte ich eine Welle heißer, sinnverwirrender Panik, aber es gelang mir, sie niederzukämpfen und wenigstens den Anschein von Ordnung in meinen Gedanken zu schaffen. Verzweifelt ballte ich die Faust und schlug mit aller Kraft gegen den Dachziegel. Es knackte hörbar, und ein scharfer Schmerz schoss durch mein Handgelenk. Aber der Dachziegel rührte sich nicht von der Stelle.
Ich kam nicht dazu, ein zweites Mal zuzuschlagen. Der Fäulnisgestank wurde plötzlich übermächtig. Ein dumpfer Schlag traf die Schrankwand. Das ganze Zimmer schien zu zittern. Priscylla stieß einen erschrockenen Schrei aus, sprang endgültig auf und wich hastig in die hinterste Ecke des Zimmers zurück.
Ein zweiter, noch härterer Schlag traf den Schrank. In der glatten Holzfläche entstand ein langer, gezackter Riss, dann zerbarst das Holz unter einem dritten, wütenden Hieb, und etwas Gigantisches, Dunkles wirbelte in den Raum.
Bannermann schrie auf, packte den Sessel, in dem er gerade noch gesessen hatte, und schleuderte ihn mit aller Gewalt auf den Eindringling.
Es ging unglaublich schnell. Das Craal war nur als dunkler Schatten zu erkennen, aber es war nicht mehr vollends unsichtbar, wie bisher. Und es schien auch nicht unverletzbar zu sein. Der Sessel, den Bannermann geschleudert hatte, traf es mit der Wucht eines Geschosses. Das Möbelstück ging krachend zu Bruch, aber der Unheimliche wurde mit Urgewalt zurückgeschleudert und fiel zu Boden. Ein dunkler Schattenarm versuchte sich an den Resten des Schrankes festzuklammern und zerschmetterte ihn vollends.
Bannermann schrie triumphierend auf, riss ein zweites Möbelstück in die Höhe und warf es dem Monster hinterher. Es war nicht zu erkennen, ob es traf, aber von draußen erscholl ein krächzender, wütender Schrei, gefolgt von einem fürchterlichen Splittern und Bersten.
Aber der Angriff verschaffte uns nur für Augenblicke Luft. Schon nach wenigen Sekunden erschien der wogende Schatten erneut in der zerbrochenen Öffnung. Dunkle, peitschende Schlangenarme griffen zu uns herein, fuhren mit fürchterlichem Geräusch durch die Luft und trieben Bannermann und mich zurück. Bannermanns überraschende Aktion hatte die Bestie wohl mehr überrascht als verletzt.
»Zurück!«, schrie Bannermann. Seine Stimme überschlug sich fast. Ein dunkler Schattenarm griff nach ihm, streifte ihn an der Schulter und riss ihn mit fürchterlicher Macht von den Füßen. Er fiel, versuchte instinktiv wieder auf die Füße zu kommen, und sank mit einem schrillen Schrei erneut zurück, als sich der Schattendämon über ihn beugte. Ein peitschender Arm legte sich um seine Schulter. Bannermanns Schreie wurden schriller.
Irgend etwas geschah mit mir.
Ich weiß nicht, was es war. Auch später war es mir unmöglich, das Gefühl auch nur annähernd in Worte zu kleiden – aber irgend etwas schien nach mir zu greifen und meinen Willen so mühelos auszuschalten, wie der Sturm eine Kerzenflamme ausbläst.
Mit einem gellenden Schrei sprang ich vor, blieb breitbeinig über Bannermann stehen und streckte dem Unsichtbaren in einer abwehrenden, beschwörenden Geste die Hände entgegen.
Es war nicht meine
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