Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
mich ohne ein weiteres Wort seitwärts vom Stuhl fallen, riss den Stock hoch und zog ihm den Schaft mit aller Macht über die Schulter.
Boldwinn schrie auf, fiel zur Seite und verlor den Halt. Die Pistole entlud sich mit einem donnernden Knall, aber die Kugel klatschte harmlos hoch unter der Decke in einen Buchrücken. Ich fiel, rollte mich herum und sprang auf, um mich auf Boldwinn zu stürzen. Aber es war nicht mehr nötig. Howard sprang mit einem raschen Schritt hinzu, trat ihm die Waffe aus der Hand und riss ihn grob vom Boden hoch. Boldwinn keuchte und versuchte sich zu wehren, aber der Zorn gab Howard übermenschliche Kräfte. Er schüttelte Boldwinn wie ein Spielzeug hin und her, wirbelte ihn schließlich herum und gab ihm einen Stoß, der ihn direkt in Rowlfs ausgebreitete Arme taumeln ließ. Rowlf grinste und schloss seine mächtigen Pranken um Boldwinns Schultern.
»Das war knapp«, sagte Howard schweratmend. »Gut gemacht, Robert. Rowlf, halt ihn gut fest.«
Rowlf knurrte eine Antwort, hob Boldwinn mit einer beiläufigen Bewegung hoch und setzte ihn wuchtig auf seinen Stuhl zurück, während Howard und ich zur Tür eilten.
Sie war verschlossen. Howard verbiss einen Fluch auf den Lippen, rüttelte einen Moment in sinnlosem Zorn an der Klinke, fuhr mit einer wütenden Bewegung herum und stampfte auf Boldwinn zu. »Das nutzt Ihnen nichts, Boldwinn«, sagte er. »Geben Sie den Schlüssel heraus!«
Boldwinn wand sich stöhnend unter Rowlfs Griff. Howard gab Rowlf einen Wink, und der breitschultrige Riese ließ Boldwinns Arme los. »Also?«
»Ich habe ihn nicht«, sagte Boldwinn trotzig.
Howard wollte auffahren, aber ich hielt ihn mit einem raschen Griff zurück. »Er hat Recht, Howard«, sagte ich. »Wir hätten es gemerkt, wenn er die Tür verschlossen hätte. Es muss Carradine gewesen sein.«
»Dann rufen Sie ihn«, verlangte Howard.
Boldwinn schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht daran«, sagte er. Die Furcht war aus seiner Stimme gewichen. Jetzt, als er den ersten Schrecken überwunden hatte, kehrte die alte Überheblichkeit in seinen Blick zurück. Und noch etwas. Etwas, das ich nicht definieren konnte, das mich aber schaudern ließ.
»Wir können Sie auch zwingen«, sagte Howard leise.
Boldwinn runzelte die Stirn. »So?«, sagte er. »Können Sie das?« Er stand auf. Rowlf hob mit einem zornigen Knurren die Arme, aber Howard hielt ihn zurück.
»Ich hasse Gewalt, Mister Boldwinn«, sagte er ernst. »Aber Sie lassen mir keine andere Wahl.«
Boldwinn lachte meckernd. »So?«, sagte er. »Und was wollen Sie tun? Mich vielleicht umbringen?«
»Vielleicht die Tür einschlagn«, sinnierte Rowlf. »Mit deim’ Schädel.«
Boldwinn drehte sich herum, sah Rowlf mit einer Mischung aus Abscheu und Verachtung an und lächelte böse. »Aber Sie können mich nicht umbringen«, sagte er dann, wieder an Howard gewandt. Sein Gesicht begann sich zu verändern. »Selbst wenn Sie wollten.« Seine Haut fiel ein, wurde grau und rissig und spannte sich plötzlich wie trockenes Pergament über den Knochen. »Ich bin nämlich schon tot, müssen Sie wissen.« Die Veränderung ging weiter, schnell, unglaublich schnell. Er taumelte. Seine Beine schienen nicht mehr die Kraft zu haben, seinen Körper zu tragen. Er sackte gegen den Tisch, klammerte sich vergeblich fest und sank weiter zu Boden. Sein Körper sah plötzlich aus wie ein schlaffer Sack ohne stützende Knochen. Seine Kleider sanken ein, als wäre der Leib darunter plötzlich nicht mehr da.
Der ganze schreckliche Vorgang dauerte nur wenige Augenblicke. Dann lagen da, wo Boldwinn zu Boden gestürzt war, nur noch ein Haufen alter Kleider und grauer, trockener Staub.
Der Raum lag tief unter der Erde. Seine Wände waren fensterlos und die Tür bestand aus schweren, eisenbeschlagenen Bohlen, die nicht den geringsten Lichtschimmer, nicht den mindesten Laut hindurchließen. Jenny erinnerte sich nur schemenhaft daran, wie sie hier heruntergekommen war: Charles hatte sie zurückgeführt ins Haus, zurück in den Keller, in dem sie das erste Mal erwacht war, tiefer hinein in das unterirdische Labyrinth von Gängen und Stollen und Katakomben, das sich unter dem Haus erstreckte. Sie waren über ein Dutzend Treppen und zahllose, ausgetretene Stufen tiefer und immer tiefer hinabgegangen, weiter durch Stollen und Tunnel, später durch Gräben, die sie an ins Riesenhafte vergrößerte Maulwurfsgänge erinnerten und deren Wände nur noch aus zusammengepresstem Erdreich
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