Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
Robert«, murmelte er. »Dieses Haus ist eine einzige riesige Falle. Ich hätte es erkennen müssen.«
Ich antwortete nicht. Mein Blick tastete über den Haufen vermoderter Kleider und grauen Staubes; alles, was von Boldwinn übrig geblieben war. Ein eisiger Schauer lief über meinen Rücken. Aber ich bin doch schon tot, hatte er gesagt. Es war mir unmöglich, den eisigen Schrecken zu verjagen, mit dem mich diese Worte erfüllt hatten.
»Du kannst nichts dafür«, murmelte ich, nicht aus Überzeugung, sondern nur, um überhaupt etwas zu sagen und das tödliche Schweigen, das sich im Raum ausgebreitet hatte, nicht übermächtig werden zu lassen.
Howard lachte humorlos. »Doch«, widersprach er. »Ich hätte ihn erkennen müssen. Spätestens in dem Moment, in dem …« Er sprach nicht weiter, sondern ballte in hilflosem Zorn die Fäuste, fuhr mit einer plötzlichen, abrupten Bewegung herum und ging zu einem der Fenster. Wir wussten beide, wie sinnlos es war. Die Fenster zu öffnen, war das erste gewesen, was wir versucht hatten, als sich die Tür nicht öffnen ließ. Die Flügel saßen so unverrückbar an ihrem Platz, als wären sie verschweißt, und das Glas hatte jedem Versuch widerstanden, es einzuschlagen. Howard rüttelte einen Moment am Griff, wandte sich mit einem resignierenden Seufzer wieder um und ging zum Tisch.
»Ich versuch’s noch mal«, knurrte Rowlf. »Wär ja gelacht, wenn ich nich …«
»Das ist vollkommen sinnlos«, unterbrach ihn Howard. »Nicht einmal ein Elefant könnte diese Tür einrammen. Aber wir kommen schon hier heraus.« Der letzte Satz war eher ein Ausdruck seiner Verzweiflung als echter Überzeugung. »Irgendetwas wird geschehen«, murmelte er. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie sich damit zufrieden geben, uns hier drinnen einzusperren und zu warten, bis wir an Altersschwäche sterben.«
»Oder verdursten«, fügte ich finster hinzu. »Das geht wesentlich schneller.«
Howard sah mich an, als käme ihm diese Möglichkeit erst jetzt zu Bewusstsein. Für einen Moment wurde sein Gesicht grau vor Schrecken, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. »Unsinn«, sagte er. »Irgendetwas wird geschehen. Ich spüre es. Dieses Haus ist … kein normales Haus.«
Diesmal widersprach ich nicht. Ich hatte schon im ersten Moment, nachdem ich das Haus betreten hatte, gespürt, dass mit diesem Gebäude etwas nicht so war, wie es sein sollte. Es war mehr als ein Haus aus Stein und Holz; weit mehr.
Rowlf hatte wie bisher schweigend zugehört. Jetzt drehte er sich mit einem gegrunzten Fluch herum, schlurfte zum Kamin und beugte sich hinein, soweit es die prasselnden Flammen zuließen.
»Was wird das?«, fragte ich neugierig.
Rowlf beugte sich noch weiter vor, schob einen brennenden Scheit mit dem Fuß beiseite und verdrehte sich halbwegs den Hals. Als er sich wieder aufrichtete, war sein Gesicht schwarz von Ruß. Kleine glühende Funken schwelten in seiner Hose.
»Geht auch nich«, murmelte er. »Is zu eng zum rausklettern. Außerdem scheint obn’n Gitter zu sein oder so was.«
Ich sah ihn einen Moment enttäuscht an, dann wandte ich mich wieder an Howard. »Was ist mit den Büchern?«, fragte ich.
Howard runzelte die Stirn. »Den Büchern?«
»Du sagtest, es wären … magische Bücher.«
Howard nickte. »Sicher, aber …« Wieder sprach er nicht zu Ende, sondern seufzte nur, drehte sich aber nach einigen Sekunden doch herum und ging zu einem der Regale hinüber.
Er erreichte es nie.
Ich weiß nicht, was es war. Ich wusste nicht einmal, wie es geschah. Es war eine Vision, aber eine Vision von solcher Wucht, wie ich sie niemals zuvor erlebt hatte. Plötzlich, von einem Lidzucken zum nächsten, war ich nicht mehr in der Bibliothek. Der Raum um mich herum war groß, womöglich größer als die Bibliothek, eine graue, von Feuchtigkeit und Kälte durchdrungene Höhle, erfüllt von Dunkelheit und vereinzelten schmalen Streifen grauen, irgendwie krank wirkenden Lichts. Ich war nicht mehr ich. Mein Körper war der eines Fremden – oder genauer gesagt einer Fremden; einer jungen Frau oder eines Mädchens, die zusammengekauert in einer Ecke des Raumes hockte. Ihr/mein Blick war starr auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, auf die zerschmetterte Tür darin und das formlose, grausige Ding, das wogend und zitternd durch diese Tür hereinkam …
Dann war es vorbei, mit der gleichen, unbeschreiblichen Wucht, wie es mich überkommen hatte, ein Gefühl, als würde mein Körper oder
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