Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
zieht, breitete sie sich im Raum aus. Der Teppich vermoderte unter unseren Füßen. Die Bücherregale begannen zu knirschen, die Bände zitterten, zerfielen in Sekundenschnelle zu grauem Staub und kleinen, rissigen Fetzen. Mit einem hörbaren Knirschen zerbrach die Kette des Kronleuchters. Howard riss mich im letzten Moment zurück, als das zentnerschwere Gebilde aus Glas und geschliffenem Kristall auf den Tisch herabfiel und ihn zerschmetterte.
»Mein Gott, Howard – was ist das?«, keuchte ich.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Howard. »Und es interessiert mich auch nicht. Wir müssen raus hier – schnell!«
Das letzte Wort hatte er geschrien. Eines der Bücherregale an der Südwand brach krachend und polternd zusammen. Das Holz zersplitterte unter seinem eigenen Gewicht, bog sich durch und ließ in einer bizarren Kettenreaktion auch die darunter liegenden Bretter zerbrechen. Wie Dominosteine, die einmal angestoßen worden waren, begannen sich auch die beiden Regale rechts und links davon zu neigen und knirschende, beinahe wie ein schmerzhaftes Stöhnen klingende Laute von sich zu geben. Eine gewaltige Staubwolke quoll hoch und nahm mir die Sicht. Ich hustete, zog angstvoll den Kopf zwischen die Schultern und taumelte blind hinter Howard und Rowlf her. Die Bibliothek verwandelte sich von einem Moment auf den anderen in ein Chaos zersplitternden Holzes, bröckelnder Steine und Lärm und Staub und zitternder Bewegung.
Auch an der Tür war die furchtbare Veränderung nicht vorübergegangen. Das Holz war grau und rissig geworden und wo das Schloss gesessen hatte, befand sich nur noch ein formloses Etwas aus braunrotem Rost. Rowlf sprengte es mit einem entschlossenen Fußtritt vollends heraus, warf sich mit der Schulter gegen die Tür und fiel beinahe auf die Knie, als das drei Meter hohe Türblatt schlichtweg aus den Angeln brach und mit einer fast gemächlichen Bewegung nach draußen kippte.
Nebeneinander hetzten wir durch die Halle. Das Haus veränderte sich weiter, alterte in Sekunden um Jahrhunderte, aber ich achtete nicht mehr darauf, sondern taumelte blind vor Furcht und immer stärker werdender Panik weiter. Kalk und Steine lösten sich von der Decke und schlugen wie kleine, tödliche Geschosse rings um uns auf und etwas traf mich an der Schulter und ließ mich aufschreien. Als wir die Tür erreichten, brach die Treppe ins Obergeschoss mit einem gewaltigen Donnern und Bersten zusammen.
Howard schrie irgendetwas. Ich verstand ihn nicht, blieb stehen und hustete. Meine Schulter schmerzte höllisch. Rowlf versetzte mir einen Stoß, der mich aus dem Haus und auf die Treppe hinaustorkeln ließ.
Und im gleichen Moment hörte es auf.
Das Haus erbebte unter einem letzten, gewaltigen Zucken. Etwas Gigantisches, Körperloses schien für einen Moment hinter uns zu wogen, eine Bewegung wie das wütende Zupacken einer Faust, der das sicher geglaubte Opfer im letzten Moment noch entkommen war. Dann kam das gepeinigte Gebäude zur Ruhe.
Howard, Rowlf und ich liefen noch ein paar Meter weiter, ehe wir, allesamt schwer atmend und am Ende unserer Kräfte, stehen blieben und mit einer Mischung aus Furcht und Erleichterung zurückblickten. Es hatte aufgehört. Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich an den Gedanken zu gewöhnen, aber es hatte aufgehört.
»Mein Gott«, flüsterte Howard neben nur. »Das war knapp. Zehn Sekunden später, und …«
Er sprach nicht weiter, aber ich wusste, was er meinte. Das Haus stand noch, aber es wäre, wenn der bizarre Verfall im gleichen Tempo fortgeschritten wäre, nur noch eine Frage von Augenblicken gewesen, ehe es wie ein Kartenhaus über uns zusammengestürzt wäre und uns unter seinen Trümmern begraben hätte. Das Dach war bereits eingesunken und ein Teil der Südwand stand sichtlich schräg. Selbst der tonnenschwere Türsturz hatte sich aus seiner Verankerung gelöst und hing deutlich zur Seite geneigt über dem Eingang.
»Das Licht«, murmelte Howard. »Was ist mit dem Licht?«
Instinktiv hob ich den Blick. Der sternenübersäte Nachthimmel war verschwunden und hatte einer seltsamen, grauen Farbe Platz gemacht. Weder Mond noch Sterne waren zu sehen, aber dabei war es trotzdem so hell wie während der frühen Morgendämmerung, kurz bevor sich die Sonne am Horizont zeigte. Aber es war keine Sonne zu sehen.
Ich schauderte. Irgendetwas an diesem Licht flößte mir Angst ein, ein spürbares, körperliches Unbehagen. Der Himmel war grau, von einer Farbe wie mattes,
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