Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
sich mit dem Knarren und Ächzen des Hauses.
Gordon berührte ihn an der Schulter und deutete nach links. Der Dachboden war nicht leer. In der Mitte des Raumes stand ein mächtiger, dick mit Staub und schwarz verkrustetem Schmutz bedeckter Schreibtisch, auf dem zwei altertümliche Petroleumlampen standen und flackernde rotgelbe Helligkeit verbreiteten. Und hinter diesem Schreibtisch saß ein Mann.
Tremayn schluckte mühsam, um den bitteren Kloß, der plötzlich in seinem Hals war, loszuwerden. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er einem Toten gegenüber zu stehen, aber dann erkannte er, dass das nicht stimmte. Der Mann saß in unnatürlich steifer Haltung auf dem hochlehnigen, geschnitzten Stuhl, die Augen weit geöffnet und starr, und auf seinen eingefallenen bleichen Zügen lag grauer Staub. Er blinzelte nicht. Vor ihm lag ein mächtiges, in dunkelgraues und steinhart gewordenes Schweinsleder gebundenes Buch. Es war aufgeschlagen und Tremayn erkannte trotz der unzureichenden Beleuchtung und der großen Entfernung, dass die Seiten mit fremdartigen, bizarren Schriftzeichen übersät waren.
»Mein Gott«, murmelte er. »Was …« Er keuchte, prallte mitten im Schritt zurück und griff so fest nach Gordons Arm, dass dieser vor Schmerz aufstöhnte.
»Er ist tot!«, keuchte er. »Mein Gott, er …«
Gordon machte mit einer wütenden Geste seinen Arm los und trat einen halben Schritt zur Seite.
»Der … der Bursche ist tot!«, stammelte Tremayn noch einmal. Seine Stimme zitterte und stand dicht davor überzukippen.
»Das sehe ich auch«, schnappte Gordon gereizt. »Und zwar schon eine ganze Weile.« Er lachte hart, um seine eigene Nervosität zu überspielen. »Der tut dir nichts mehr, du Feigling. Komm schon.« Er machte einen Schritt und wartete darauf, dass Tremayn ihm folgte, aber der rührte sich nicht von der Stelle. Auf seiner Stirn glitzerte Schweiß.
»Was ist mit dir?«, fragte Gordon. »Fürchtest du dich vor einem Toten?«
Tremayn schüttelte den Kopf, blickte Gordon für die Dauer eines Atemzuges unsicher an und nickte plötzlich. »Das gefällt mir nicht«, sagte er. »Lass uns verschwinden. Hier … hier gibt es sowieso nichts zu holen.«
Gordons linke Augenbraue rutschte ein Stück weit seine Stirn hinauf. »Woher willst du das wissen?«, fragte er. »Immerhin können wir uns wenigstens mal umsehen, oder?« Er schüttelte den Kopf, schnitt Tremayn mit einer entschiedenen Bewegung das Wort ab, als dieser erneut widersprechen wollte, drehte sich um und ging – weit weniger sicher und selbstbewusst, als es ihm lieb gewesen wäre – auf den Schreibtisch und den Toten zu.
Tremayn schluckte nervös und trat einen Moment unentschlossen auf der Stelle. Plötzlich schien ihm wieder einzufallen, dass er noch immer Gordons Messer in der Hand hielt. Verlegen und überhastet ließ er die Klinge in den Griff zurückschnappen, steckte das Messer ein und machte einen zögernden Schritt, aber nur, um gleich darauf wieder stehen zu bleiben. »Lass uns verschwinden«, sagte er noch einmal. »Bitte.«
Gordon ignorierte ihn.
Aber auch seine Schritte wurden langsamer, und er fühlte, wie das Unbehagen, das auch von ihm Besitz ergriffen hatte, sich allmählich in pure Angst zu verwandeln begann. Die Dunkelheit auf dem Dachboden schien zu raschelndem, flüsterndem Leben zu erwachen, als sie sich dem Schreibtisch und dem Toten dahinter näherten. Gordon fiel auf, dass das Licht der beiden Petroleumlampen, die rechts und links von ihm auf der Schreibtischplatte standen, nur wenige Schritte weit reichte; viel weniger weit, als normal gewesen wäre. Der Tisch stand inmitten einer Insel flackernder trüber Helligkeit, die von einem finsteren Belagerungswall aus Schwärze und ungewissen wogenden Schatten umgeben war. Und irgendetwas am Gesicht des Toten kam Gordon auf beinahe Furcht einflößende Weise bekannt vor, gleichermaßen vertraut wie abstoßend, aber er wusste nicht, was. Der bittere Kloß in seinem Hals war noch immer da und sein Magen krampfte sich langsam zu einem harten, schmerzhaften Ball zusammen. Einen ganz kurzen Moment lang blitzte die Frage in seinem Bewusstsein auf, wer die beiden Lampen entzündet haben mochte und warum, aber der Gedanke entschlüpfte ihm, ehe er ihn richtig fassen konnte.
Sie näherten sich dem Schreibtisch und blieben in zwei Schritten Abstand stehen. Gordon versuchte einen Blick auf die Seiten des aufgeschlagenen Buches zu erhaschen, aber es gelang ihm nicht. Etwas
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