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Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser

Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser

Titel: Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hinauszutreten.
    Es war eine seltsame Umgebung. Sein Zimmer hatte wie ein besserer Verschlag gewirkt, voller Staub und Spinnweben, aber der Gang, auf den er trat, konnte eher zu einem Schloss gehören. Die Decke war hoch und gewölbt, überall hingen Bilder und Wappen und auf dem Boden lagen kostbare Teppiche.
    Irgendwo tief im Inneren des Gebäudes schlug eine Uhr, ein mächtiger, tiefer Gong, der zehn-, elf-, schließlich zwölfmal ertönte und mit einem vibrierendem Nachhall verstummte.
    Im gleichen Moment spürte Shannon das Fremde.
    Es war so wie am Morgen, nur stärker, unendlich stärker. Die Luft schien plötzlich von einem üblen Geruch durchdrungen und irgendetwas geschah mit dem Licht.
    Shannon erstarrte, hob die Hand und schloss für einen Sekundenbruchteil die Augen.
    Als er sie wieder öffnete, sah er die Linien. Pulsierende Linien, die sich wie Stricke eines überdimensionalen Spinnennetzes durch den Korridor spannten.
    An ihrem Ende bewegte sich etwas. Eine Gestalt. Schmal, hell und flackernd wie ein Trugbild.
    Und dann hörte er den Schrei. Einen gellenden, unglaublich entsetzten Schrei, der die Stille des Hauses auf fürchterliche Weise durchbrach.
    Zum zweiten Mal an diesem Tage rannte Shannon los, so schnell er nur konnte.
     
    Ich musste stundenlang vor dem Kamin gehockt und vor mich hingestarrt haben, denn als ich endlich aus meinem fast tranceähnlichen Zustand erwachte, schmerzten meine Muskeln vor Verspannung und meine Augen brannten.
    Ich war nicht mehr allein.
    Howard hatte die Bibliothek wieder betreten, hatte aber die Tür lautlos ins Schloss gezogen und war davor stehen geblieben. Ich fragte mich, wie lange er schon dastand und mich beobachtete.
    »Bist du in Ordnung?«, fragte er, als er meinen Blick spürte.
    Ich nickte, stand auf und machte einen Schritt in seine Richtung, ging dann aber nicht weiter. »Es … geht schon wieder«, sagte ich. »Ich fürchte, ich habe ziemlich viel Unsinn geredet, vorhin. Es tut mir Leid.«
    »Das braucht es nicht«, sagte Howard und es klang ehrlich. »Es ist wohl auch meine Schuld. Ich hätte dich warnen müssen, in meinem Brief. Als ich ihn abgeschickt habe, war alles noch nicht halb so schlimm wie jetzt.«
    »Du glaubst, dass sie uns angreifen werden?«, fragte ich leise. »Hier?«
    Howard zuckte mit den Schultern, löste sich von seinem Platz vor der Tür und kam näher. Ich sah, dass er einen Spazierstock in der Hand hielt, als wolle er ausgehen.
    »Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, gestand er. »Unsere Gegner denken und planen nicht wie Menschen. Aber irgendetwas wird geschehen, das spüre ich. Und es wird nichts Gutes sein.« Er seufzte und hielt mir den Spazierstock entgegen.
    »Eigentlich bin ich nur gekommen, um dir dies zu geben«, sagte er. »Ich wollte es dir schon zur Begrüßung überreichen, aber …« Er sprach nicht weiter, sondern rettete sich in ein verlegenes Lächeln, während ich ihm den Stock aus der Hand nahm und ihn neugierig betrachtete.
    Es war ein prachtvolles Stück. Der Schaft war ungewöhnlich lang und aus einem mir unbekannten, tiefschwarzen Holz gefertigt, und auch sein Knauf schien eine Spur zu groß geraten und blinkte wie geheimnisvolles Kristall, als ich ihn gegen das Feuer hielt. In seinem Inneren war ein dunkler, nicht genau erkennbarer Gegenstand eingeschlossen. Vielleicht auch nur ein Schatten.
    »Dreh ihn nach links«, sagte Howard.
    Ich gehorchte. Der funkelnde Kristallknauf drehte sich mit sanftem Widerstand, dann klickte etwas und die Klinge eines rasiermesserscharfen, beidseitig geschliffenen Stockdegens glitt aus dem schwarzen Holz. Bewundernd zog ich ihn vollends heraus und drehte ihn in den Händen. Die Waffe war sehr leicht, aber ich spürte einfach, wie kräftig der zerbrechlich aussehende Stahl war. Die Klinge schien scharf genug, ein Haar zu spalten.
    »Er hat deinem Vater gehört«, sagte Howard. »Ich habe ihn damals in Verwahrung genommen, als er nach New York ging, um dich zu suchen. Ich … musste ihm versprechen, gut auf ihn Acht zu geben, bis er zurück ist. Aber ich glaube, es ist in seinem Sinne, wenn du ihn bekommst.«
    In seiner Stimme war ein sonderbarer Klang, als er die letzten Worte sprach. Ich schob die Klinge in ihren hölzernen Schaft zurück, legte den Degen auf den Tisch und sah auf.
    »Es tut mir Leid, was ich vorhin gesagt habe, Howard«, sagte ich noch einmal. »Ich wollte, ich könnte ihn um Verzeihung bitten.«
    Howard lächelte. »Er weiß es, Robert«, sagte er.

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