Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser
»Er wusste es schon, bevor du gekommen bist. Versuche uns bei unserem Kampf zu helfen, wenn du in seinem Sinne handeln willst.«
»Aber das kann ich nicht, Howard«, sagte ich gequält. Warum verstand er mich nur nicht?
»Begreif doch!«, fuhr ich beinahe flehend fort. »Ich habe es versucht, Howard. Ich habe während des letzten Jahres mehr über Magie und Okkultismus gelernt als andere in ihrem ganzen Leben. Ich habe versucht mich an diese Macht zu gewöhnen, die mein Erbe ist, aber ich kann es nicht. Ich will es nicht. Ich will nicht mein Leben lang in dem Bewusstsein existieren müssen, dass ich den Menschen, denen ich begegne, nur Unheil und Tod bringe!«
Irgendwo im Haus schlug eine Uhr, langsam und monoton, und ihr dumpfer hallender Klang schien meine Worte auf schauerliche Weise zu untermalen.
»Aber das stimmt doch nicht«, widersprach Howard sanft. »Es liegt in deiner Macht, was du aus deinem Erbe machst.«
Das Schlagen der Uhr hielt an, als wolle es seine Worte bestätigen.
»Und wenn ich nicht stark genug bin?«, fragte ich. »Wenn ich versage und der Verlockung der Macht erliege, wie die anderen, die meinen Vater getötet haben?«
Howard wollte antworten, aber er kam nicht dazu. Irgendwo unter uns im Haus schlug die Uhr ein letztes, zwölftes Mal.
Etwas Unheimliches geschah.
Das Licht flackerte. Ein eisiger Wind strich durch den Raum, ließ Funken aus dem Kamin stieben und löschte eine der drei Gaslampen, die die Bibliothek erhellten. Und gleichzeitig färbte sich der Schein der beiden anderen grün.
»Gott!«, keuchte Howard. »Was ist das?«
Ein grauenhafter Gestank erfüllte mit einem Mal das Zimmer. Etwas Dunkles, körperlos Wirbelndes schien aus dem Nichts über dem Tisch zu erscheinen und ein grässlicher Zischlaut verschluckte Howards Stimme.
Die fürchterliche Grünfärbung des Lichtes vertiefte sich und plötzlich tanzte etwas Bleiches, formloses Weißes wie transparenter Nebel in der Mitte der Tischplatte. Howard schrie, prallte zurück. Seine Hand griff nach dem Stockdegen, verfehlte ihn und fegte ihn vom Tisch. Verzweifelt bückte er sich danach und versuchte ihn zu ergreifen.
Ich nahm von all dem kaum etwas wahr, sondern starrte weiter auf das tanzende Etwas, das wie Nebel über dem Tisch wallte und wogte. Plötzlich wurde es kalt, schneidend kalt, und mit einem Mal streifte mich ein moderiger Luftzug, wie der Hauch aus einem Grab.
Dann ballte sich der Nebel zusammen, wuchs in Augenblicken zu einer zwei Meter hohen, flackernden Säule aus wirbelndem Weiß und reiner Bewegung – und formte sich zu einer menschlichen Gestalt!
Eine eisige Hand schien meinen Rücken herab zu fahren, als ich das Gesicht der Nebelgestalt erkannte.
»Priscylla!«, keuchte ich. Zitternd stand ich da, schrie wie von Sinnen und versuchte mit aller Kraft nicht wahnsinnig zu werden, während ich auf die flackernde, halb durchsichtige Mädchengestalt starrte.
Die Gestalt hob in einer sonderbar schwerelos wirkenden Bewegung die Arme. Ihr schwarzes, schulterlanges Haar wehte wie im Wind und dann kam ein Ton tiefen, unendlich tiefen Leidens über ihre Lippen.
»Robert!«, stöhnte sie. »Hilf … mir … hilf mir doch … Sie … kommen. Sie wollen meine … Seele. Bitte helft! Helft mir.«
Dann geschah etwas Furchtbares.
Unter der Gestalt, irgendwie im Inneren der massiven Tischplatte, erschien ein Klumpen formlos glitzernder … Dinge, die sich wanden und zuckten und bebten. Ein peitschender, schleimig-schwarzer Arm zuckte wie eine glitzernde Schlange empor, drang durch den Nebelkörper des Mädchens und riss ihn auseinander, so rasch und plötzlich, wie eine Sturmböe den Morgennebel zerreißt.
Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich einen Schrei zu hören, einen Schrei so voller Entsetzen und Furcht, wie ich ihn noch nie zuvor in meinem Leben vernommen hatte. Dann verstummte er. Der Nebelkörper und das schwarze Ding in der Tischplatte waren verschwunden und plötzlich war das Licht wieder normal.
Aber nur für einen Moment.
Dann kehrte der grüne Schein zurück und ein geradezu bestialischer Gestank raubte mir den Atem.
Und über der Tischplatte erschien zum zweiten Mal die flackernde Nebelgestalt.
Aber sie hatte sich verändert!
Ihr Körper schien auf bizarre Weise verkrüppelt, verzerrt und irgendwie in sich gestaucht und verdreht, sodass er mehr der Karikatur eines menschlichen Wesens glich. Das gerade noch blütenweiße, seidene Nachtgewand war mit schwarzen Flecken übersät und
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