Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire
Schläfen mit seinem Turban verbunden war. Wie seine ganze Kleidung war dieser Turban schwarz, ein Schwarz, das tiefer war als das der Nacht und das Licht aufzusaugen schien. Nur der halbmeterlange, rasiermesserscharf geschliffene Krummsäbel in seiner Hand reflektierte das Licht der flackernden Lampe.
Der Anblick ließ mich erstarren. Ich vergaß Rowlf, der sich zu Füßen des Fremden auf den Stufen krümmte. Ich vergaß Howard, der irgendetwas stammelte, was ich nicht verstand, und ich vergaß den Kutscher, der vollends zwischen uns zusammengebrochen war. Ich sah nur noch den Fremden.
Den Drachenkrieger, den Necron geschickt hatte, um zu vollenden, was, ihm nicht gelungen war.
Hinter uns zerbarst die Haustür mit einem ungeheuren Dröhnen; beinahe gleichzeitig zersprangen die Fenster wie unter einem Fausthieb. Durch die Öffnung quoll eine kochende Wolke winziger grauer Motten …
Lautlos wie ein Schatten verschwand der Mann in der Nacht. Niemand hatte ihn gesehen, als er die kleine Seitentür des Gefängnisses hinter sich zugezogen hatte, so wenig, wie ihn jemand sah, als er sich in nördliche Richtung wandte und ohne sichtliche Hast losging.
Und hätte ihn jemand beobachtet, hätte er nichts als einen elegant gekleideten, vielleicht etwas fremdländisch aussehenden Mann bemerkt, der zu nächtlicher Stunde nach Hause eilte.
Er hatte getan, wozu er gekommen war. Der Verräter war bestraft, ein Exempel statuiert worden. Es war leicht gewesen, beinahe schon zu leicht für seinen Geschmack.
Das Gefängnis war alt, seine Wachen unaufmerksam und leicht zu täuschen gewesen. Es war keines jener sorgsam bewachten Gebäude gewesen, die wie Festungen abgeschirmt waren, sondern nur eine Art Übergangslager. Die Männer und Frauen, die hier festgehalten wurden, waren keine Kapitalverbrecher, sondern kleine Diebe, Betrüger, Untersuchungsgefangene. Entsprechend lasch waren die Sicherheitsvorkehrungen.
Aber auch wenn sie schärfer gewesen wären, hätten sie den Mann kaum daran gehindert, zu tun, weshalb er gekommen war.
Am nächsten Morgen, dachte er zynisch, würden sich eine Menge Leute die Köpfe darüber zerbrechen müssen, wie sie dieses Gefängnis sicherer machen konnten.
Spätestens dann, wenn die drei Leichen entdeckt worden waren, die in einer kleinen Zelle im Erdgeschoss des Gebäudes lagen …
Howards gellender Schrei verklang in meinen Ohren. Ich hörte, wie die Fensterscheiben vollends zerbarsten und die Luft über uns plötzlich vom seidigen Schlagen von Millionen und Abermillionen winziger Flügel erfüllt war, und ich hörte, wie Ron neben uns hysterisch zu kreischen begann, aber all dies registrierte ich nur mit einem winzigen Teil meines Bewusstseins, einer winzigen, halbwegs klar gebliebenen Insel in dem Chaos tobender Emotionen, das meine Gedanken erfüllte. Dieser Mann war ein Drachenkrieger.
Ein Drachenkrieger. Immer und immer wieder hämmerten meine Gedanken dieses einzelne Wort und mit jedem Male wurde der Wille, die Treppe hinaufzustürzen und ihm die Hände um die Kehle zu drücken, unbezwingbarer. Er war ein Drachenkrieger, eine jener Bestien, die Necron begleitet hatten, als er gekommen war, um Priscylla zu entführen.
Howard erwachte plötzlich neben mir zu hektischer Bewegung, riss den hilflos dahockenden Kutscher auf die Füße und schrie irgendetwas, aber ich achtete nicht auf ihn. Von irgendwoher drang ein tiefer, dröhnender Laut wie ein machtvoller Glockenschlag an mein Ohr, aber auch das registrierte ich kaum.
Der klar gebliebene Teil meines Bewusstseins sagte mir, dass ich mich in Lebensgefahr befand, dass nur noch Sekunden vergehen konnten, bis die Motten über uns waren und uns töteten, aber ich war unfähig, auf diese Stimme der Vernunft zu hören.
Mit einem gellenden Schrei stürzte ich los, sprang immer drei, vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf und über Rowlf hinweg. Howard brüllte eine Warnung, aber sie prallte von der unsichtbaren Wand, die plötzlich um mein Bewusstsein war, ab.
Der Drachenkrieger erwartete mich gelassen. Er trat einen halben Schritt zurück, als ich heranstürmte, wie um mir Gelegenheit zu geben, den Balkon zu erreichen und mich zum Kampf zu stellen, bewegte den Säbel und hob gleichzeitig die Linke, als wolle er mir zuwinken. Seine Gestalt spannte sich.
Ich versuchte erst gar nicht ihn abzulenken, wie es normal gewesen wäre, wenn man mit leeren Händen einem Mann mit einem Säbel gegenübersteht, sondern stürmte
Weitere Kostenlose Bücher