Hexer-Edition 08: Engel des Bösen
die letzten Lücken in der Phalanx der mörderischen Nager zu schließen.
Schließlich hörten auch diese vereinzelten Angriffe auf. Die Ratten zogen sich sogar ein Stück zurück, ließen aber ein warnendes Zischen hören, als Rowlf versuchte, den bizarren Belagerungsring zu durchbrechen. Er hatte sich mit einer Latte bewaffnet, die er vom Wagen losgerissen hatte, und Dutzende der Tiere damit erschlagen. Nicht, dass er die Masse der Angreifer sichtlich geschmälert hätte …
Plötzlich wurde es still. Die Schreie und Kampfgeräusche verklangen nach und nach und auch in den Häusern, die die schmale Seitenstraße säumten, machte sich eine bedrückende Stille breit. Ich senkte den Stockdegen ein wenig, wich dichter zu Howard und Cohen zurück und sah nach vorne, zum schattenerfüllten Ende der Gasse.
Trotz seiner Schaurigkeit erleichterte mich der Anblick beinahe. Der Zweispänner war zerstört, die beiden Pferde tot und von den Ratten bereits halb aufgefressen, aber bis auf den unglückseligen Mann, der vor unseren Augen gestorben war, schien keiner von Cohens Leuten zu Tode gekommen zu sein. Wie wir standen sie einzeln oder in kleinen Gruppen inmitten winziger, frei gebliebener Kreise in der Rattenarmee, die die Straße wie ein lebender brauner Sumpf bedeckten. Keiner von ihnen war unverletzt, aber genau wie uns hatten die Ratten sie bisher verschont und nur zusammengetrieben; nicht getötet, was sie mit Leichtigkeit gekonnt hätten.
»Was … was bedeutet das?«, krächzte Cohen neben mir. Seine Stimme hörte sich an, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Er zitterte am ganzen Leib.
»Das«, sagte Howard betont, »möchte ich selbst gerne wissen. Aber ich fürchte, nichts Gutes.«
»Warum … warum töten sie uns nicht?«, stammelte Cohen. Seine Augen waren so stark geweitet, dass ich ernsthaft befürchtete, sie würden ihm aus den Höhlen quellen. Speichel lief an seinem Kinn herab und vermischte sich mit dem Blut, das sein Gesicht bedeckte.
»Sie scheinen auf irgendetwas zu warten«, murmelte Howard. Sein Blick irrte unstet über die Straße.
Ja, dachte ich. Sie warteten. Und ich wusste auch, worauf. Und als wäre dieser Gedanke ein Stichwort gewesen, erschien eine Gestalt am Ende der Straße.
Hinter mir schrie Cohen wie ein Wahnsinniger auf, aber ich war nicht sonderlich überrascht, als der Mann näher kam und ich das Rattengesicht sah, das er da trug, wo menschliche Züge sein sollten. Ich sah ihn nur eine Sekunde lang an, dann drehte ich rasch den Kopf, sodass ich seine Bewegungen nur noch aus den Augenwinkeln verfolgen konnte. Ich hatte die hypnotische Macht seines Blickes einmal zu spüren bekommen. Und das war schon einmal zu viel gewesen.
Langsam kam der Unheimliche näher. Zu seinen Füßen teilte sich die Rattenarmee und schloss sich hinter ihm wieder in einer einzigen, langsamen Bewegung. Fast, dachte ich, als wäre es nur ein einzelnes, auf viele tausend Körper verteiltes Bewusstsein, das sie lenkte.
»Robert«, flüsterte Howard neben mir. »Du musst etwas tun. Ich flehe dich an, beeil dich!«
Tun?! Sekundenlang starrte ich Howard an und kämpfte gegen die Hysterie, die seine Worte in mir ausgelöst hatten. War er von Sinnen? Was sollte ich in drei Teufels Namen tun?
Der Mann mit dem Rattenkopf blieb in drei Schritten Abstand vor uns stehen und starrte mich an. Krampfhaft wich ich seinem Blick aus, aber ich spürte bereits wieder, wie sich eine unsichtbare, tastende Hand in mein Bewusstsein schob, meinen Geist auslotete und sondierte.
»Du bist gewarnt worden, Sohn des Hexers«, sagte er. Seine Stimme war ein schreckliches Zischeln, aber das nahm seinen Worten nichts von ihrer Bedrohlichkeit. »Du hättest tun sollen, was man dir sagte. Jetzt wirst du sterben.«
Eine unsichtbare Macht wollte mich zwingen, ihn anzusehen. Ich wusste, dass ich verloren war, wenn ich es tat. Der Blick seiner Augen war der Tod. Seine geistige Macht war der meinen um ein Tausendfaches überlegen. Das war nicht die Macht eines Menschen. Der Rattenköpfige war nichts als ein Werkzeug. Unser wahrer Gegner blieb unsichtbar.
»Wenn du mich töten willst, dann … dann tu es«, sagte ich schleppend. »Aber lass die anderen gehen. Sie haben nichts damit zu tun.«
»Du hast keine Forderungen zu stellen«, sagte der Rattenmann. »Du wurdest gewarnt und du hast diese Warnung missachtet. Jetzt stirbst du. Sieh mich an.«
Der Drang, den Kopf zu heben und ihn anzusehen, wurde immer stärker. Nur mit
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