Hexer-Edition 09: Dagon - Gott aus der Tiefe
Beschäftigungen nachgingen, die er über die große Entfernung nicht genau zu erkennen vermochte. Sein Blick wanderte nach rechts und tastete über das schwarz daliegende Wasser des Hafenbeckens.
Nach einer Weile begann sich das Bild zu verändern. Zuerst war es kaum merklich; nicht mehr als ein ganz sanftes Zittern, das über die Wasseroberfläche glitt, aber schon nach Sekunden begannen Wellen zu entstehen, dann erschienen die ersten sprudelnden Luftblasen und wenige Augenblicke später sah Spears den Schatten.
Obwohl er halbwegs darauf vorbereitet gewesen war, erschrak er zutiefst. Das Schiff glitt wie ein ins Gigantische vergrößerter Haifisch durch das Becken, lautlos, aber von einer Spur sprudelnder weißer Luftblasen begleitet, verharrte weniger als fünf Meter vor dem Ufer und begann zu steigen. Das Wasser kochte, Strudel und sprudelnde kleine Geysire bildeten sich, Wellen erschienen aus dem Nichts und schlugen klatschend gegen den Lavastrand und plötzlich war das ganze gewaltige Becken von brodelnder Bewegung und dem Rauschen gewaltsam beiseite gepressten Wassers erfüllt.
Spears Atem stockte, als die NAUTILUS auftauchte. In der Nacht zuvor, als Nemo ihn und seine Männer gezwungen hatte, ihn zu begleiten, hatte er das Schiff nur als Schatten gesehen – und schon dieses Bild war bizarr genug gewesen.
Jetzt lag die NAUTILUS fast zum Greifen nahe vor ihm, grell angestrahlt von zahllosen elektrischen Lampen, die im gleichen Augenblick an der Höhlendecke aufgeflammt waren.
Das Schiff war ein Gigant. Spears schätzte seine Länge auf weit mehr als zweihundert Fuß und dabei war der gigantische, halb unter der Wasserlinie liegende Rammsporn am Bug noch nicht einmal mitgerechnet.
Und es sah nicht aus wie ein Schiff.
Es sah eigentlich nichts ähnlich, was der Fregattenkapitän vorher zu Gesicht bekommen hatte. Es sah nicht einmal technisch aus. Wenn überhaupt, dann erinnerte die NAUTILUS Spears an eine absurde Mischung aus Hai, Krokodil und einem vorsintflutlichen Seeungeheuer. Sein gewaltiger, buckliger Leib war übersät mit metallenen Warzen und Vorsprüngen, und die beiden gewaltigen Bullaugen-Fenster im vorderen Drittel des flachen Turmes erinnerten ihn an Augen, hinter denen ein teuflisches Feuer glomm.
Plötzlich verstand Spears, warum die wenigen Berichte, die er erhalten hatte, allesamt von einem Seeungeheuer sprachen; nicht von einem Schiff. Die NAUTILUS war aus Stahl und den Erzeugnissen einer unverständlichen Technik gefertigt, aber das änderte nichts daran, dass sie in Wahrheit ein Seeungeheuer war; wenn auch ein von Menschenhand geschaffenes. Aber das machte sie vielleicht nur umso gefährlicher. Der Rammsporn an ihrem Bug erschien lächerlich in einer Zeit der Kanonen und Torpedos; aber als Spears das Schiff aus nächster Nähe sah, wusste er, welch furchtbare Waffe er trotz allem darstellte. Dieser stählerne Gigant mit seinem sägezahnübersäten Leib musste jedes noch so große Schiff, auf das er traf, glattweg in zwei Teile spalten.
Spears rief sich in Gedanken zur Ordnung und schmiegte sich enger an den Felsen. Die NAUTILUS glitt nahezu lautlos auf das Ufer zu, verharrte einen Moment und drehte sich dann mit einer Eleganz, die ihrer Größe und ihrem auf den ersten Blick grobschlächtigen Äußeren Hohn sprach, auf der Stelle, bis ihr Turmaufbau mit einem hörbaren Klicken in eine Haltevorrichtung einschnappte, die am Ende des spinnenbeinigen Landungssteges angebracht war. Das Riesenschiff schaukelte leicht. Wasser perlte von seiner blauschwarzen Panzerhaut und plötzlich öffnete sich an der Schmalseite seines Turmes eine runde Luke.
Spears unterdrückte im letzten Moment einen zornigen Schrei, als er den Mann erkannte, der gebückt aus dem Inneren des Schiffes trat und dann mit schnellen Schritten über den Laufsteg an Land ging. Nemo! Niemand anderes als Kapitän Nemo selbst, der Mann, der am Tode seines Bruders und zahlloser anderer unschuldiger Männer Schuld trug. Für die Dauer eines Herzschlages musste Spears mit aller Gewalt gegen das Bedürfnis ankämpfen, einfach hinter seiner Deckung hervorzuspringen und sich auf die schmalschultrige Gestalt zu stürzen.
Dann war es vorbei. Spears Herzschlag beruhigte sich wieder und der rasende Zorn in seinem Inneren machte kalter Überlegung Platz. Selbst, wenn es ihm gelänge, Nemo zu erreichen – er war unbewaffnet und würde in Sekundenschnelle überwältigt sein. Und er wollte auch nicht Nemos Tod.
Nicht nur. Wenn er Nemo
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