Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft
Boden, ließ die Luft knistern und zähflüssig wie heißen Sirup werden und überzog die Grate und Risse der geborstenen Lava mit einer unsichtbaren, schmierigen Schicht.
Und etwas an ihr hatte sich verändert. Sie schien … aggressiver geworden zu sein. Drängender. Drohender.
Dagon war sicher, sich die Veränderung nicht nur einzubilden. Alles hier war anders geworden, auf eine nicht greifbare, düstere Art bedrohlicher und lebensfeindlicher.
Aber er wusste auch den Grund dieser Veränderung. Die Zeit rückte heran. Bald würde das Tor aufgestoßen werden, hinter dem sie seit Jahrmillionen warteten, geduldig und zeitlos wie die Unendlichkeit, aus der sie vor Äonen gekommen waren, um zusammen mit ihren Herren diesen kleinen Stern am Rande der Galaxis zu besitzen. Noch war es nicht soweit, aber der Tag rückte heran, und bald schon würde er die Stunden zählen können, bis der Augenblick der Erfüllung gekommen war. Wenn die Thul Saduun erwachten!
Dagon hatte Angst vor jenem Moment. Er gab es nicht zu, nicht einmal sich selbst gegenüber, aber tief in seinem Inneren fürchtete er den Augenblick ihres Erwachens, denn einst hatte er sie betrogen – oder es zumindest versucht – und er war nicht ganz sicher, ob sie wirklich die gefühllosen Götter waren, die das Wort Vergeltung nicht kannten und für die Verrat nur eine logische Folgerung aus gegebenen Umständen war. Möglicherweise würden sie ihn bestrafen.
Er vertrieb den Gedanken und wandte sich wieder an das bizarre Wesen, das zu treffen er hergekommen war.
Die Gestalt ähnelte einem Menschen, aber es war eine Ähnlichkeit, die nur einer oberflächlichen Musterung standgehalten hätte. Sie war groß, über die Maßen schlank und schimmerte, als wäre sie aus poliertem schwarzem Holz oder Horn gefertigt. Wo ihr Gesicht sein sollte, befand sich nur eine ebene, vollkommen glatte Fläche. Winzige Spritzer erstarrter Lava klebten auf ihren Gliedern und ihrem lang gestreckten Leib.
Dagon verspürte einen neuerlichen, deutlichen Schauer von Furcht, als er das Wesen betrachtete. Alle, auch die, die ihn als Gott verehrten und ihm Sklavendienste taten, glaubten, dass er, Dagon, ihr Herr war, der Herr der furchtbaren Schatten, die mit der Nacht aus dem Meer kamen und den Tod brachten.
Es war genau umgekehrt. So, wie die Sterblichen ihn fürchteten, fürchtete er sie, die gesichtslosen Schrecken des Meeres, von denen die Legenden der Eingeborenen sagten, dass sie Seelen derer waren, die die See verschlungen hatte, und von denen er wusste, dass die Wahrheit tausend Mal schlimmer war. Er fürchtete sie, obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – sie ihm halfen und sie Diener jener in der Tiefe wie er waren. Vielleicht, weil er sich bis zu diesem Moment nicht darüber klar geworden war, wer die wichtigere Rolle spielte, ob er oder sie entbehrlich sein würden, wenn sie erwacht waren. Oder vielleicht auch beide.
»Es wird Zeit«, sagte das Hornwesen. Seine Stimme ließ Dagon schaudern, denn er hörte den Befehl, der sich hinter diesen so harmlos klingenden Worten verbarg.
Dagon nickte, drehte sich um und klatschte in die Hände, und in die Gruppe der Betenden, die im Halbkreis um den lodernden Lavasee herum niedergekniet waren, kam Bewegung. Acht der Männer erhoben sich, verließen die Höhle und kamen wenige Augenblicke später zurück, zwei kleine, bronzebraun gebrannte Gestalten mit Peitschenhieben vor sich hertreibend.
Dagon stutzte. »Nur zwei?«, fragte er. »Wo sind die anderen?«
Einer der Männer trat vor und senkte demütig den Blick. Sein Atem ging schnell, aber Dagon war nicht sicher, ob es nur an der erstickenden Wärme lag, die hier unten herrschte und seine Sklaven auszehrte, sodass ihm keiner länger als wenige Wochen zu Diensten war, ehe auch er starb oder geopfert wurde.
»Nun?«, fragte er noch einmal und in weitaus schärferem Tonfall.
»Es … sind nicht mehr da, Herr«, antwortete der Mann. Diesmal hörte Dagon die Furcht in seinen Worten überdeutlich.
»Was soll das heißen?«, fauchte er. »Es wurden Männer gebracht in den letzten Tagen.«
»Sie sind … nicht mehr da, Herr«, antwortete der Sklave im Flüsterton. »Die Mächtigen sind hungrig, Herr. Und seit dem letzten Morgen kamen keine Männer mehr.«
»Es …« Dagon ballte zornig die Fäuste und starrte den Mann einen Herzschlag lang zornig an. Dann fuhr er herum und wandte sich an die schwarz schimmernde Horngestalt.
»Ist das wahr?«, fauchte er.
»Es ist wahr«,
Weitere Kostenlose Bücher