Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft
viel mehr, als dass er da ist und mit Dagon zusammenarbeitet.«
»Er ist ein Templer«, sagte ich.
Shannon nickte. Er wirkte nicht besonders überrascht.
»Ein Master des Templerordens«, fuhr ich fort. »Du kennst diese Männer?«
»Nein«, erwiderte Shannon. »Aber ich habe von Ihnen gehört. Sie und Necron sind … keine Freunde.« Ich hatte das sichere Gefühl, dass er in Wahrheit etwas ganz anderes hatte sagen wollen, hakte jedoch nicht nach, sondern blickte noch einmal zum Fenster und sah dann wieder zu Shannon auf.
»Wir haben Zeit«, sagte ich. »Warum erzählst du mir nicht alles? Wie kommst du hierher, Shannon? Zwei Jahre in die Vergangenheit?«
»Auf dem gleichen Wege wie du«, antwortete Shannon. »Necron beherrscht die Tore, zumindest zu einem geringen Teil.«
»Das ist keine Antwort«, sagte ich. »Gestern Abend hast du gesagt, dass du geflohen bist. Warum ausgerechnet hierher?«
»Weil ich wusste, dass ich dich hier finden würde«, antwortete Shannon.
»Woher?«
»Auf Krakatau befindet sich das zweite SIEGEL«, sagte Shannon, als wäre dies Antwort genug. Mir jedenfalls reichte es nicht. Ich stellte eine entsprechende Frage.
Shannon schwieg eine Weile, aber er schien zu begreifen, dass ich mich diesmal nicht mehr mit Ausflüchten zufrieden geben würde. Schließlich nickte er, griff unter seinen Rock und förderte einen kleinen, in ein braunes Stück Kattun eingeschlagenen Gegenstand zutage.
»Das hier habe ich Necron gestohlen, ehe ich geflohen bin«, sagte er. »Ich … kann es dir nicht genau erklären, denn nicht einmal Necron selbst weiß wirklich, auf welche Weise es funktioniert, aber es ist eine Art …« Er zögerte, suchte einen Moment sichtlich nach Worten und fuhr mit einem unsicheren Lächeln fort: »… eine Art Kompass, wenn du so willst. Ein Kompass, der nur einem einzigen Zweck dient – die SIEGEL zu finden. Wer ihn besitzt und ein Tor benutzt, wird in die Nähe eines SIEGELS gebracht. Frage mich jetzt nicht, wieso oder woher Necron ihn hat, ich weiß es nämlich nicht. Ich weiß nur, dass es so ist. Necron gedachte ihn zu benutzen, um die sechs anderen SIEGEL aufzuspüren.«
Verstört blickte ich auf die kaum münzgroße Metallscheibe in meinen Händen herab. Sie war vollkommen glatt und fühlte sich kalt wie Eis an. Einen Moment lang wunderte ich mich, keinerlei Anzeichen von Magie zu spüren, denn auch das war etwas, das ich in den letzten Jahren fast gegen meinen Willen gelernt hatte. Erst nach Sekunden kam mir wieder zu Bewusstsein, dass meine magischen Kräfte nach der Begegnung mit Tergard ungefähr so stark entwickelt waren wie die einer Kellerassel. Enttäuscht reichte ich Shannon den Kompass zurück.
»Das erklärt, warum du hier bist«, sagte ich. »Aber nicht, was mich hierher verschlagen hat.«
Shannon steckte die Metallscheibe weg, nachdem er sie sorgfältig wieder eingewickelt hatte. »Du bist ein Magier wie ich«, sagte er schließlich. »Möglicherweise ist deine angeborene Begabung sogar stärker. Vielleicht stärker als die Necrons.«
»Unsinn«, widersprach ich, aber Shannon beharrte auf seiner Meinung.
»Necron hat Angst vor dir, Robert«, sagte er plötzlich. »Ist dir das klar?«
»Angst? Vor mir?« Ich versuchte zu lachen, aber es gelang nicht ganz. »Du machst Witze.«
»Keineswegs«, sagte Shannon ernst. »Er hasst dich, weil er dich fürchtet, Robert. Er hat Angst vor dir, weil er ahnt, dass du ihn vernichten könntest, irgendwann einmal. Es ist der gleiche Grund, aus dem er mich getötet hätte, wäre ich nicht geflohen. Der Grund, aus dem er das Mädchen gefangen hält.«
Ich fuhr auf, wie von einem Schlag getroffen.
»Das Mädchen?!« Ich schrie fast. »Welches Mädchen, Shannon?«
Shannon antwortete nicht, sondern blickte mich nur mit einer Mischung aus Schrecken und allmählich aufkeimendem Mitleid an und ich begriff, dass er etwas gesagt hatte, was er ganz und gar nicht hatte sagen wollen.
Das Mädchen …
»Priscylla«, murmelte ich. »Dann … dann lebt sie? Sie … sie ist … ist am Leben, Shannon? Sie lebt noch?« Plötzlich begann meine Stimme zu zittern und in meiner Brust erwachte ein neuer, grausamer Schmerz, der nichts mit meinen Verletzungen zu tun hatte und den keine Magie der Welt zu lindern imstande war. Ich hatte gehofft, ihn durch Vergessen abtöten zu können, aber Shannons Worte hatten mir bewiesen, dass auch das nicht ging. Er war noch da, grausam und quälend wie am ersten Tag.
»Pri«, murmelte ich erneut.
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