Hexer-Edition 18: Endstation Hölle
geschmolzen.
Wells war sichtlich in seinem Element, fast schien es mir, als hätte er die Gefahr vergessen, die wie ein Damoklesschwert über uns hing. Er hastete unaufhörlich zwischen Maschine, Schwungrad und Schmelztiegel hin und her und gab uns knappe, präzise Befehle.
Dabei fiel es mir immer schwerer, seinen Anweisungen zu folgen. In den letzten Minuten war die unsichtbare Bedrohung zu erschreckender Größe und Macht angewachsen und ich spürte mit jeder Faser meines Körpers, dass unsere Galgenfrist so gnadenlos und unaufhaltsam verrann wie die letzten Körner einer Sanduhr.
Nun erstarrte der zähflüssige Talg langsam wieder und George Wells füllte geschickt die Risse und Bruchstellen des Schwungrades damit aus. »Ich denke, dass dieses Provisorium der Belastung standhalten wird«, sagte er, ohne von seiner Arbeit aufzusehen. »Lange genug jedenfalls, um einige Stunden in die Vergangenheit zu reisen und diese unerfreuliche Episode zu verhindern.«
»Was haben Sie vor?«, fragte ich. »Wollen Sie sich selbst befreien?«
»Warum nicht?«, entgegnete er lakonisch.
»Ich meine … können Sie sich denn selbst begegnen?«, formulierte ich die Frage neu. »Würde das denn nicht bedeuten, dass es bereits geschehen ist, dass wir also bereits – äh …« Ich kam ins Stocken; je mehr ich über dieses Paradoxon nachzudenken versuchte, desto mehr verwirrte es mich.
»Ich verstehe, was Sie meinen, Mr. Craven«, antwortete Wells. »Ein interessantes Phänomen, in der Tat. Und um ehrlich zu sein – ich weiß selbst nicht genau, was geschehen wird. Bislang hatte ich noch keine Gelegenheit, ein solches Experiment durchzuführen.« Er lächelte zuversichtlich. »Aber was auch geschehen mag – für Sie beide wird es gewiss ein deutlicherer Effekt sein, als ich ihn erleben kann. Ja … Sie müssten von einem Moment auf den anderen von hier verschwinden, um sich an anderer Stelle zu manifestieren – irgendwo im Freien und in Sicherheit, vielleicht sogar zurück im guten alten England – kommt ganz darauf an, was ich zu erreichen vermag.«
»Sie meinen – wir lösen uns auf?«, fragte Sill mit heiserer Stimme.
»Aber nein, meine Liebe«, beruhigte Wells sie. »Ihr Körper wird lediglich … versetzt. Im gleichen Moment, da meine Maschine zu ihrem Zeitsprung ansetzt. So ich denke, das wird genügen.«
Seine letzten Worte galten dem mittlerweile erstarrten Talg. Er erhob sich ächzend und maß das Rad mit einem letzten kritischen Blick. »Gute Arbeit«, lobte er sich selbst. »Und jetzt zurück an die Maschine damit.«
Mit vereinten Kräften hoben wir das Rad an und schoben es auf den stählernen Haltebolzen. Wells zog die Schraube fest, verstaute das Werkzeug und schwang sich in den roten Ledersitz. Fast zärtlich strich er über die Armaturen und rückte den Steuerknüppel zurecht.
Dann lehnte er sich zur Seite und streckte uns seine Hand entgegen. Ich ergriff sie und drückte sie fest. »Auf ein Wiedersehen in einer glücklicheren Zukunft«, sagte er. »Also schon in wenigen Sekunden, denn …«
Er sprach weiter, aber seine Stimme klang mit einem Male dumpf und unwirklich in meinen Ohren. Es war, als hätte sich ein dichter grauer Nebel um mein Bewusstsein gelegt und es gleichsam gelähmt. Und es dauerte Ewigkeiten, bis ich die Benommenheit als das erkannte, was sie in Wirklichkeit war.
Ein Angriff! Eine magische Attacke des bösen Geistes, der diesem Tempel innewohnte!
Mit einem Ruck zog ich meine Hand zurück und blickte in George Wells’ verständnisloses Gesicht. Merkte er denn noch immer nichts? »Schnell, starten Sie!«, brüllte ich ihn an.
Mir schwanden die Sinne. Wie durch dicke Watte hindurch spürte ich Sills Hand in meinem Rücken. Das Licht begann zu flackern und ganz langsam eine grünliche Färbung anzunehmen. Nun schrie auch Wells erschrocken auf – und endlich reagierte er! Ich sah, wie er sich vorbeugte, den kristallenen Steuerhebel ergriff und nach vorn schob. Augenblicklich begann das große Schwungrad am Heck der Maschine sich zu drehen, wurde zu einem wirbelnden Schatten, der mit jeder Umdrehung an Substanz verlor.
Das Bild der Maschine verzerrte sich vor meinen Augen, wurde durchsichtig – und verschwand!
Instinktiv hielt ich die Luft an. Nun musste sich der Tempel um mich herum in Nichts auflösen, musste ich mich plötzlich in anderer Umgebung wiederfinden.
Jetzt!
Doch nichts geschah. Wells’ Maschine war nun vollends verschwunden, doch Sill und ich standen noch immer im
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