Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
Anwalts war unübersehbar. »Seit ich dich kenne, habe ich ja schon eine Menge seltsamer Sachen erlebt, aber das hier … Ich weiß nicht mal, wo wir überhaupt sind.«
Howard musterte ihn einige Sekunden ernst. »Vielleicht ist es besser, wenn ich dir die Wahrheit sage«, antwortete er dann. »Ich fürchte, die Frage ist nicht nur, wo wir sind, sondern auch, wann. Ich bin schon ein paar Mal durch die Standuhr getreten, damals, als das Transportsystem noch richtig funktionierte. Aber etwas war diesmal anders. Wir haben uns nicht nur durch den Raum bewegt.«
»Ach«, sagte Gray. »Worin kann man sich denn sonst noch bewegen?« Er lächelte, aber es wirkte sehr nervös.
»In der Zeit«, antwortete Howard. »Ich fürchte, wir haben uns auch durch die Zeit bewegt.«
Gray starrte ihn ungläubig an. Obwohl es in der Höhle kühl war, perlte Schweiß auf seiner Stirn. »Das … ist ein Scherz, nicht wahr?«, fragte er.
Howard schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, nein«, sagte er. »Die Uhr war die ganze Zeit über da, weißt du?«
»Da?«
»In der Bibliothek«, erklärte Howard. »Sie … war gar nicht weg. Wir konnten sie nur nicht sehen. Ich weiß, wie phantastisch sich das anhört, aber es ist die Wahrheit. Sie war … in der Zukunft verborgen. Sill hat mir geholfen, sie zurückzuholen.«
Gray erbleichte noch ein bisschen mehr. Beinahe Hilfe suchend sah er zu Sill hinüber, aber die dunkelhaarige Araberin nickte nur. Gray fuhr sich nervös mit der Hand über das Kinn und wandte sich wieder an Howard: »Und … wie lange? Ich meine … wie weit?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Howard. »Es war nur ein flüchtiger Eindruck, aber ich konnte deutlich spüren, wie die Mauern der Zeit für einen Moment eingerissen wurden. Es kann sich um Minuten handeln, möglicherweise aber auch Stunden oder sogar Tage. Ich glaube jedoch nicht, dass der Sprung besonders groß war.« Den letzten Satz fügte er eindeutig nur hinzu, um Gray zu beruhigen. Und ein bisschen auch sich selbst.
Erneut ertönte der unheimliche Schrei und ließ sie zusammenschrecken.
»Das kam aus dem Stollen, in dem ich die Bewegung gesehen habe«, sagte Sill. Sie hielt ihr Schwert fest umklammert. Immer wieder glitt ihr Blick zu dem runden Loch in der Felswand.
»Wir sollten nachsehen gehen«, erklärte Howard. »Das ist auf jeden Fall besser, als einfach hier herumzustehen. Also müssen wir uns sowieso für einen der Stollen entscheiden.«
»Is vielleicht bessa, wennich mit Sill allein gehn tu«, nuschelte Rowlf.
Howard schüttelte den Kopf. »Solange wir nicht wissen, wo wir sind, bleiben wir zusammen«, entschied er. »Falls es hier irgendwelche Gefahren gibt, können wir ihnen auf diese Art besser begegnen. Aber zunächst brauchen wir Licht.« Er sah sich suchend um und entdeckte in einer Ecke einige trockene Äste, aus denen er zwei dicke, knapp armlange Stöcke heraussuchte. »Sill, ich brauche ein Stück von deinem Mantel.«
Die Araberin riss einen breiten Streifen vom Saum des Kleidungsstückes ab. Howard zerriss das Stück noch einmal und wickelte die beiden Streifen um die Enden der Stöcke. In seiner Tasche fand er Streichhölzer. Das erste Hölzchen brach ihm ab, doch mit dem zweiten gelang es ihm, die Stofffetzen in Brand zu stecken. Knisternd fing das trockene Holz Feuer. Er reichte eine der Fackeln an Rowlf weiter und zog seinen Revolver. »Gehen wir.«
Als erster trat er in den Stollen hinein. Die Decke war gerade hoch genug, dass er aufrecht gehen konnte, ohne mit dem Kopf anzustoßen. Sill folgte ihm dichtauf, dann kam Gray und den Abschluss bildete Rowlfs hünenhafte Gestalt.
Immer noch drang leise das dumpfe Rumoren an ihre Ohren und der Boden vibrierte fast unmerklich unter ihren Füßen, als würden irgendwo tief im Leib der Erde gewaltige Maschinen arbeiten. Davon abgesehen war es totenstill, nur das Geräusch ihrer eigenen Schritte war zu hören. Wenn hier wirklich jemand gewesen war, wie Sill behauptete, so war er verschwunden.
Ein warmer Luftzug wehte ihnen aus dem Stollen entgegen und brachte die Fackeln zum Flackern. Geisterhaft glitt das Licht über die unebenen Wände, brach sich in Ritzen oder an winzigen Vorsprüngen und warf tanzende Schatten, die Howard die Illusion von Bewegung vorgaukelten und Leben zu erschaffen schienen, wo keines war.
Der Stollen fiel in sanfter Neigung ab. Glücklicherweise gab es keine Abzweigungen, sodass nicht die Gefahr bestand, sich zu verirren, wobei Howard sich keine Illusionen
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