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Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Titel: Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ich noch einmal stehen, ehe ich die halb zusammengebrochene Ruine betrat. Die Schatten von Brandersgate lagen wie eine Herde finsterer, bedrohlich näher gekrochener Tiere hinter mir. Es war fast unheimlich still.
    Ich ging weiter. Schutt und Glassplitter knirschten unter meinen Sohlen, als ich die Kirche betrat. In der Luft hing ein ganz leiser Brandgeruch, obwohl das Feuer mehr als fünf Jahre vorüber war, und ich musste mich bücken, um mir nicht den Schädel an dem Gewirr zusammengebrochener Balken zu stoßen, in das sich das Dach verwandelt hatte. Nicht sehr weit entfernt stand ein Schatten. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber ich spürte, dass er mich anstarrte.
    »Gehen Sie nicht weiter«, sagte eine Frauenstimme. Sie klang erschrocken; ein hastiges Flüstern, in dem unüberhörbare Furcht vibrierte.
    Gehorsam blieb ich stehen. Ich versuchte, das Gesicht meines Gegenübers in der Dunkelheit zu erkennen, aber sie blieb ein tiefenloser Schatten.
    »Wer sind Sie?«, fragte ich. »Was wollen Sie von mir?«
    »Ich muss mit Ihnen reden«, antwortete die Frau. »Ist es wahr, dass Sie und Ihr Freund aus London kommen und von der Polizei sind?«
    »Cohen ist Polizist«, antwortete ich.
    Obwohl sie nicht antwortete, spürte ich die betroffene Enttäuschung der Frau und ich begriff, dass es ein reiner Zufall gewesen war, dass sie mein Fenster als Zielscheibe für ihre Steine ausgesucht hatte. Von ihrem Standpunkt aus hatte sie vermutlich sogar das falsche getroffen.
    »Sie … Sie stellen viele Fragen«, sagte sie zögernd. »Sie suchen jemanden.«
    »Einen Mann namens Crowley«, bestätigte ich. »Kennen Sie ihn?«
    »Nein«, antwortete sie. »Seit fünf Jahren ist kein Fremder mehr in die Stadt gekommen. Es gibt hier niemanden namens Crowley.«
    Ich war ein wenig verwirrt. »Warum sind Sie dann zu mir gekommen?«
    Die Antwort erfolgte nicht gleich; nicht einmal nach einem kurzen, sondern erst nach einem geraumen Zögern. Als sie sprach, tat sie es stockend; langsam und zögernd und mit unüberhörbarem Widerwillen – eben auf die Art eines Menschen, der Angst hatte zu reden, aber noch mehr Angst es nicht zu tun. »Vielleicht sollte ich mit Ihrem Freund reden. Vielleicht … hätte ich auch gar nicht kommen sollen.«
    »Sie sind aber nun einmal hier«, antwortete ich sanft. »Wie heißen Sie? Mein Name ist Robert.«
    Wieder ein langes, lastendes Schweigen. Dann: »Alyssa. Mein Name ist Alyssa Baker.«
    »Sie haben Angst zu reden«, sagte ich geradeheraus. »Wollen wir woanders hingehen?«
    »Es gibt keinen sichereren Platz in Brandersgate«, antwortete Alyssa. Ich spürte ihre Nervosität. »Aber ich … bin nicht sicher, ob Sie mir helfen können. Ich hätte nicht kommen sollen.«
    »Es geht um die Kinder«, vermutete ich.
    Wieder antwortete sie nicht sofort, aber dieses Mal konnte ich deutlich die Überraschung spüren, die in ihrem Schweigen lag.
    »Woher … wissen Sie das?«, fragte sie schließlich.
    »Nur eine Vermutung«, antwortete ich. Das war zugleich die Wahrheit wie eine Lüge. Es war nicht mehr als eine Vermutung; allerdings eine, die fast zur Gewissheit geworden war. So sicher, wie Cohen gespürt hatte, dass mit diesem Ort etwas nicht stimmte, spürte ich, dass mit seinen Kindern irgendetwas nicht in Ordnung war. Vielleicht fühlten wir beide das Gleiche, jeder auf seine Art.
    »Was ist mit Ihren Kindern?«, fragte ich, als sie nicht antwortete, sondern mich nur weiter schweigend aus der Dunkelheit heraus anblickte. Ich konnte ihr Gesicht noch immer nicht erkennen, aber ich spürte, dass sie ihren Entschluss, zu uns zu kommen, bereits wieder zu bereuen begann. »Ich glaube, ich kann Ihnen helfen, Alyssa«, sagte ich. Aufmunternd fügte ich hinzu: »Alyssa – das ist ein schöner Name. Woher stammt er?«
    »Es ist keltisch«, antwortete Alyssa. Ich machte einen weiteren Schritt auf sie zu. Alyssa fuhr leicht zusammen, aber sie wich nicht weiter vor mir zurück, sodass ich es wagte, mich langsam weiter zu bewegen.
    Ihr Gesicht war schmal und von schulterlangem, glattem Haar eingerahmt, das von der gleichen schwarzen Farbe war wie ihre Augen, die mich mit einer Mischung aus Furcht und einem ganz schwachen Schimmer von Hoffnung anblickten. Ihr Alter schätzte ich auf ungefähr dreißig Jahre. Sie war von schlankem, fast zierlichen Wuchs, mit einem Gesicht, das hübsch war und schön gewesen wäre, hätten Schmerz und Verbitterung nicht tiefe Spuren darin hinterlassen.
    »Ein hübscher Name«,

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