Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
sagte ich noch einmal und lächelte ihr zu. »Er passt zu seiner Besitzerin.«
Sie erwiderte mein Lächeln vorsichtig. Die Furcht in ihrem Blick erlosch nicht ganz, aber sie zog sich ein wenig zurück.
»Was geschieht mit Ihren Kindern, Alyssa?«, fragte ich.
»Sie … sie nehmen sie uns weg«, antwortete Alyssa.
»Sie?«
»Er«, verbesserte sie sich. »Hennessey.«
»Der Lehrer?«
»Lehrer?« Alyssa gab einen Laut von sich, der ebenso ein Lachen wie ein mühsam unterdrückter Schrei sein konnte. »Wer hat Ihnen erzählt, dass er Lehrer ist?«, fragte sie.
»Einer der Jungen. Pasons.«
»Pasons?!« Ihr Erschrecken war nicht zu übersehen. »Sie haben mit Joshua gesprochen?«
»Heute Nachmittag, ja. Er kam in Cordwailers Laden. Ein seltsamer Junge.«
»Joshua!« Ihre Stimme klang plötzlich fast hasserfüllt. »Er ist der Schlimmste von allen! Wenn er mit Ihnen geredet hat, dann weiß Hennessey jetzt schon, dass Sie hier sind.«
Ich spürte, wie ihre Gefühle sie zu überwältigen drohten, und machte eine rasche, beruhigende Bewegung. »Warum erzählen Sie mir nicht von Anfang an, was hier geschehen ist, Alyssa?«, fragte ich. »Vielleicht kann ich Ihnen tatsächlich helfen. Ich habe eine gewisse … Erfahrung in diesen Dingen.« Gleichzeitig berührte ich sie sanft an der Schulter. Alyssa versteifte sich unter meiner Berührung und ich spürte, dass sie für einen winzigen Moment nahe daran war, in Panik zu geraten. Doch dann entspannte sie sich wieder und die Furcht wich aus ihrem Gesicht.
Es war nicht nur meine Berührung, die sie beruhigte. Zugleich mit meiner Hand, die ihren Arm berührte, berührte mein Geist den ihren und ohne dass sie selbst es auch nur bemerkte, besänftigte ich ihre Angst und erfüllte sie zugleich mit einem Vertrauen, das sie einem wildfremden Menschen wie mir gegenüber sonst niemals aufgebracht hätte. Ich tat das nicht gerne. Was Alyssa beruhigte, war weniger mein bewusster Wille als vielmehr ein Teil meines magischen Erbes, den ich selbst nie ganz verstanden hatte und der mich selbst stets mit einem Schaudern erfüllte. Einem fremden Menschen meinen Willen aufzuzwingen, hatte mir nie gefallen. Selbst wenn ich es wie jetzt tat, um ihm zu helfen, hatte ich dabei immer ein bisschen das Gefühl, ihn zu vergewaltigen. Aber diesmal musste es sein. Obwohl ich von Alyssa bisher im Grunde kaum etwas erfahren hatte, spürte ich doch, wie wichtig das war, was sie mir sagen wollte. Vielleicht wichtiger, als sie selbst ahnte.
»Beruhigen Sie sich«, sagte ich noch einmal. »Und dann erzählen Sie. Wer ist dieser Hennessey und was tut er?«
»Er kam vor fünf Jahren in die Stadt«, begann Alyssa. »Damals sah es hier noch nicht so aus wie heute. Brandersgate war niemals eine große Stadt oder eine reiche, aber die Menschen hatten Arbeit – die meisten jedenfalls – und waren zufrieden.«
»Was hat er getan?«, fragte ich.
»Nichts«, antwortete Alyssa. »Nichts, was man ihm beweisen könnte oder zur Last legen. Aber alles wurde schlimm, nachdem er hierher gekommen war. Es begann damit, dass die Kirche niederbrannte.«
»Hat Hennessey sie angezündet?«
Sie verneinte. »Es war ein Gewitter. Alle haben es gesehen, ich auch. Der Blitz schlug ein, direkt in das Kreuz auf der Kirchturmspitze. O nein, er hat sie nicht angezündet. Aber ich weiß, dass er es gewesen ist. Er ist der Teufel, oder zumindest mit ihm im Bunde. Es war seine Schuld, so wie alles andere auch.«
»Alles andere? Was noch?«
»Was noch? Sehen Sie sich doch um! Unsere Stadt ist … tot. Die Häuser verfallen. Niemand arbeitet noch. Niemand geht weg und niemand kommt. Früher sind wir oft in die benachbarten Ortschaften gegangen um einzukaufen oder Freunde zu besuchen, aber heute verlässt niemand mehr Brandersgate. Und unsere Nachbarn meiden uns.«
»Aber wovon leben Sie, wenn niemand Arbeit hat?«, fragte ich.
»Hennessey«, antwortete Alyssa. »Früher gab es eine Sägemühle und viele von den Männern sind aufs Meer hinausgefahren um zu fischen. Die Sägemühle wurde geschlossen und die Schiffe haben den Hafen schon seit Jahren nicht mehr verlassen. Manchmal arbeiten ein paar der Männer für Hennessey, aber nicht viele und nicht sehr oft.«
»Und wovon leben sie alle?«, wiederholte ich meine Frage.
»Was zum Leben nötig ist, bekommen wir in Cordwailers Laden«, antwortete Alyssa. »Hennessey bürgt für uns. Wir können anschreiben, bis wir wieder selbst bezahlen können.«
Ich konnte die Bitterkeit in
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