Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
ihn zur Rede zu stellen. Craven musste sowieso ahnen, dass er ihn längst durchschaut hatte. Im Grunde war es nur noch eine Frage der Zeit, wann einer von ihnen des Versteckspieles überdrüssig wurde und sich dem anderen offenbarte. Cohen hatte fast Angst vor diesem Moment, denn spätestens dann würde er sich selbst gegenüber die Frage beantworten müssen, warum er Robert Craven nicht auf der Stelle verhaftet hatte. Gründe genug dazu hatte er – von den beiden Leichen, die in seinem Haus gefunden worden waren, bis hin zu Urkundenfälschung und Meineid.
Aber er hatte auch Gründe, es nicht zu tun.
Der gewichtigste Grund war zweifellos Lovecraft. Wenn es eine Chance gab ihn aufzuspüren und dingfest zu machen, dann in Cravens Nähe.
Aber es gab auch noch einen anderen Grund, und der war – zumindest für Cohen – beinahe ebenso wichtig und mindestens genauso rätselhaft wie alles andere. Inspektor Cohen hatte diesen Grund sogar bei sich.
Er stand auf, ging zu dem kleinen Tisch, auf dem er seine Reisetasche abgestellt hatte, und öffnete sie. Unter dem wenigen Gepäck, das er für den nur für einen oder zwei Tage geplanten Ausflug mitgenommen hatte, kam ein schmaler, in ein weißes Baumwolltuch eingeschlagener Gegenstand zum Vorschein. Cohen wickelte ihn vorsichtig aus und betrachtete ihn, zum vielleicht hundertsten Male in den letzten beiden Wochen.
Es war ein Dolch. Eine sehr lange, sehr schlanke Waffe mit zweischneidig geschliffener Klinge und einem reich verzierten Griff. Sie sah sehr schön aus, sehr kostbar und sehr tödlich. Aber nur eines dieser Attribute traf wirklich zu.
Cohen nahm die Waffe in die rechte Hand, berührte mit dem Zeigefinger der anderen die Klinge – und schob sie ohne sichtliche Mühe zurück. Der scheinbar massive Stahl verschwand im Inneren des Griffes, ohne dass er wirklichen Widerstand spürte.
Die Waffe, mit der die alte Frau Robert Craven angeblich hatte ermorden wollen, war nicht mehr als ein Theaterdolch. So, wie die ganze angebliche Opferzeremonie nichts anderes als ein geschickt aufgeführtes Theaterstück gewesen war. Mit diesem Dolch konnte man niemanden erstechen; allerhöchstens erschlagen.
Cohen verstand nur seinen Sinn nicht. Und vielleicht war das der wirkliche Grund, dass er überhaupt hier war.
Er wickelte den Dolch wieder in sein Tuch, legte ihn in die Tasche zurück und wollte sich schon wieder umwenden, um einen neuen Versuch zu unternehmen, auf dem unbequemen Bett doch noch ein wenig Schlaf zu finden, als ein Geräusch am Fenster seine Aufmerksamkeit erregte.
Cohen blieb stehen und lauschte einen Moment. Das Geräusch wiederholte sich – ein Klicken, als hätte jemand einen Stein gegen die Scheibe geworfen. Zugleich hörte er, wie Craven im Nebenzimmer aufstand und zum Fenster ging.
Auch Cohen trat an die schmutzigen Scheiben heran und blinzelte hindurch. Das Rumoren im Nebenraum hielt an, dann hörte er, wie das Fenster geöffnet wurde. Zugleich glaubte er einen Schatten unten auf der Straße zu erkennen. Er streckte die Hand nach dem Fenstergriff aus, um es zu öffnen, aber dann zog er den Arm wieder zurück und blieb vollkommen reglos stehen und lauschte.
Es dauerte nicht lange, bis er hören konnte, wie Craven das Fenster wieder schloss. Einen Augenblick später verließ er sein Zimmer und schlich beinahe lautlos an seiner Zimmertür vorbei zur Treppe.
Cohen wartete ungefähr eine Minute, ehe er ihm folgte.
Der Schatten war verschwunden, als ich das Haus verließ, aber ich gewahrte eine Bewegung in einiger Entfernung. Ich folgte ihr, wobei ich mich instinktiv im Schatten der uralten Häuser hielt, die die einzige Straße der Stadt flankierten. Trotzdem hatte ich das immer intensiver werdende Gefühl beobachtet zu werden, und das auf keine sehr angenehme Art. Ich blieb ein paar Mal stehen und sah zurück, aber ich blieb weiter allein. Die einzige nicht eingebildete Bewegung stammte von dem Schatten vor mir, der immer dann stehen blieb, wenn auch ich es tat, sodass der Abstand zwischen uns stets gleich blieb. Nach einer Weile begriff ich, dass unser Ziel die heruntergekommene Kirche am Ende der Straße war.
Ein idealer Ort für einen Hinterhalt, flüsterte eine Stimme hinter meiner Stirn. Sie hatte vollkommen Recht – aber ich war an ungefähr einem Dutzend Orten vorübergekommen, die ideal für einen Hinterhalt waren, und bis jetzt war nichts passiert. Außerdem überstieg meine Neugier mittlerweile längst meine Furcht.
Trotzdem blieb
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