Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
herzogen, ehe sie zerfaserten. Gleichzeitig hüllten sie einen der Wachtürme ein. Der Schrei war von dort gekommen – genauer gesagt: von dem Wächter, der dort oben Dienst tat. Er war so abrupt verstummt, wie er begonnen hatte.
Howard hatte einen flüchtigen Eindruck von etwas Großem, Massigem, das sich inmitten der klebrigen Schwaden bewegte, etwas, das lang und düster war und wie der Schwanz einer Schlange peitschte, aber die Bewegung war so schnell, dass er nicht sicher war, ob ihm seine überreizten Nerven nur etwas vorgaukelten. Zugleich sah er auch Gray, Langston, Darender und die anderen, die ebenso wie die Schwaden zu bizarrer Langsamkeit erstarrt schienen, als wären auch sie nicht real, sondern Teil eines Trugbildes, dem er erlag. Vielleicht war dies doch der Tod, dachte er noch einmal.
Aber eigentlich glaubte er selbst nicht daran.
Er hatte nie davon gehört, dass der Tod mit Steinen warf – und genau das traf ihn plötzlich an der Schulter. Es tat nicht einmal sehr weh, aber Howard blickte trotzdem sekundenlang verblüfft auf den kinderfaustgroßen Brocken, der von seinem Arm abprallte und zu Boden fiel, hob dann noch einmal und erschrocken den Kopf – und starrte auf das Loch in der steinernen Balustrade des Turmes, das genau dort klaffte, wo gerade noch der Wärter gestanden hatte.
Jetzt war der Mann verschwunden und das Schweigen, das nach seinem Schrei Einzug gehalten hatte, schien plötzlich eine düstere, unheilschwangere Bedeutung zu erhalten. Einen Moment lang breitete es sich sogar weiter aus, so spürbar und präsent, als wäre es tatsächlich etwas Materielles, wurde zu einer ungläubigen, atemlosen Stille – und dann zerbarst die gut fünf Fuß dicke Außenmauer wie unter dem Fußtritt eines Titanen in ihrer gesamten Höhe und auf eine Breite von mehreren Yards. Mit einem ungeheuerlichen Krachen flog die Wand auseinander und überschüttete den Hof mit Trümmern und fliegenden, tödlichen Geschossen. Das gesamte Gefängnis schien in seinen Grundfesten zu erbeben und einige Trümmerstücke regneten auch rings um Howard und die anderen nieder oder trafen das hölzerne Gerüst des Galgens.
Howard riss instinktiv die Arme über den Kopf und wollte sich ebenso instinktiv ducken, aber der Galgenstrick beendet die Bewegung abrupt. Er keuchte vor Schmerz, sah einen Schatten aus den Augenwinkeln auf sich zurasen und taumelte ein zweites Mal, von einem weiteren, sehr viel größeren Steinbrocken getroffen.
Diesmal verlor er das Gleichgewicht. Er stürzte, wurde von dem Strick gehalten und kämpfte würgend und mit wild rudernden Armen darum, wieder in die Höhe zu kommen, um sich nicht selbst zu erdrosseln. Noch immer regneten Trümmer vom Himmel und die Menschen ringsum erwachten endlich aus ihrer Erstarrung und begannen in heller Panik davonzulaufen, soweit sie sich nicht verletzt am Boden krümmten oder gar reglos dalagen.
Endlich kam Howard wieder auf die Füße. Keuchend griff er nach oben, zerrte den Strick von seiner Kehle fort und sah sich nach dem Henker um.
Der Mann lag kaum zwei Schritte von ihm entfernt. Ein Trümmerstück hatte ihn getroffen und von den Füßen gefegt. Seine Stirn blutete und seine Hand lag noch immer auf dem tödlichen Hebel, der die Falltür unter Howards Füßen auslöste. Es grenzte an ein Wunder, dass er ihn nicht gedrückt hatte, als er getroffen worden war.
Howard streifte den Strick hastig ganz ab und sprang mit einem Satz von der Falltür herunter. Mehrere Stufen auf einmal nehmend, hastete er die Treppe des Gerüsts hinab. Rasch sah er sich um. Etwas wie ein steinerner Geysir schien inmitten der Mauer ausgebrochen zu sein. Noch immer flogen Trümmer hoch durch die Luft und noch immer wallte dieser graue, sonderbar falsche Nebel wie eine Flutwelle durch die Bresche. Und diesmal war Howard sicher, dass das gigantische, missgestaltete Ding, das sich im Schutze der Schwaden durch die Öffnung schob, nicht seiner Einbildung entsprang. Das Ding war so real wie der Strick, an dem er sich um ein Haar selbst aufgehängt hätte, und die Steine, die ringsum zu Boden fielen.
Er überwand die restlichen Stufen mit einem Sprung und sah sich noch einmal um. Auf dem Hof war mittlerweile endgültig eine Panik ausgebrochen. Langston, Darender und die meisten der anderen Männer, die als Zeugen der Hinrichtung erschienen waren, wandten sich dem Hauptgebäude des Gefängnisses zu, um darin Schutz zu suchen. Dabei rannten sie in ihrer Panik kopflos durcheinander –
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