Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
umklammerte Sills Hand jetzt so fest, dass Blut unter zweien ihrer Fingernägel hervorquoll. Und dann …
Geschah etwas.
Gray spürte es. Irgendetwas … schien sich zu verschieben, unsichtbar, aber überdeutlich zu fühlen, als ordneten sich ungeheure Kräfte neu und – Gray sog erschrocken die Luft ein. Seine Augen weiteten sich ungläubig. Der Platz vor Howards ausgestreckter linker Hand war plötzlich nicht mehr leer. Ein blasses, grünliches Leuchten erschien plötzlich in der Luft, ein filigranes Gebilde aus nichts anderem als Licht, mehr zu erahnen als wirklich zu sehen.
»Ich weiß ja nich, wasse da machn tut«, sagte Rowlf von der Tür her. »Aba ihr solltet es verdammich nochma schnell tun!«
Gray warf einen nervösen Blick in seine Richtung. Rowlf war rückwärts gehend von der Tür zurückgewichen. Zwischen den Trümmern, mit denen er den Durchgang blockiert hatte, erschien eine zitternde lebendige Schwärze. Gray sah hastig wieder weg.
Das Leuchten vor Howards Gesicht war mittlerweile intensiver geworden. Gray konnte jetzt ein fast symmetrisches Muster aus dünnen Linien erkennen, die immer mehr und mehr an Leuchtkraft zunahmen. Etwas wie ein Umriss entstand, drohte für eine halbe Sekunde wieder zu verblassen – und wurde schlagartig zu einer über zwei Meter hohen Standuhr mit mehreren Zifferblättern. Eines davon glühte in einem düsteren, pulsierenden Licht, die Zeiger eines anderen drehten sich wie rasend, einer so schnell, dass er zu einem huschenden Schatten wurde.
Und wie sie war auch die ganze Uhr nicht völlig so, wie Gray sie in Erinnerung hatte. Sie wirkte verzerrt, auf unmögliche Weise gestaucht und verbogen und irgendwie … lebendig, dachte Gray schaudernd.
Howard sank mit einem Keuchen zurück und ließ Sills Hand los. Die Araberin taumelte vor Schwäche, hielt sich aber noch auf den Beinen, und Gray erwachte endlich aus seiner Erstarrung. Mit einem einzigen Satz war er bei der Uhr, überwand auch noch den letzten Rest von Widerwillen und Furcht und riss die hohe, schmale Tür an ihrer Vorderseite auf. Das Holz fühlte sich so unnatürlich an, wie es aussah: nicht wie Holz, sondern wie warmes, faulendes Fleisch, und es war so heiß, dass Gray vor Schmerz aufschrie, als er es berührte. Aber er ließ nicht los, sondern zerrte die Tür mit verzweifelter Kraft vollends auf.
Dahinter kam nicht das zum Vorschein, was im Inneren einer Standuhr sein sollte. Statt sich drehender Zahnräder, metallener Gewichte und klickender Mechanik blickte Gray in einen zuckenden Schlauch, der sich geradewegs in die Unendlichkeit zu winden schien. Seine Wände schienen auf monströse Weise zu leben und von irgendwoher kam ein unheimliches, pulsierendes grünes Licht. Ein Hauch eisiger Kälte und ein atemberaubender Gestank schlugen Gray entgegen.
»Howard!«, kreischte Rowlf in höchstem Falsett. »Tu was!« Howard erhob sich stöhnend. Sein Gesicht war grau vor Schwäche und etwas in seinem Blick schien ausgebrannt zu sein. Wortlos deutete er auf den pulsierenden grünen Schlauch, der im Inneren der Uhr sichtbar geworden war. Gray musste ihm helfen den Schritt durch die schmale Tür in die Unendlichkeit des Tores hinein zu tun.
Sie war so schön und zerbrechlich, wie ich sie in Erinnerung hatte. Ein überirdisches, mildes Licht umgab ihre Gestalt und ich spürte die gleiche Aura von mit Sanftmut gepaarter Stärke, die ich stets in ihrer Nähe verspürt hatte.
Minuten mussten vergehen, in denen ich einfach dastand und sie anstarrte, und die El-o-hym erwiderte meinen Blick schweigend und mit dem gleichen, nur angedeuteten Lächeln auf den Lippen, das mich vom ersten Moment an so verwirrt hatte. Schließlich war ich es, der das Schweigen brach.
»Shadow«, flüsterte ich. »Du … du bist zurück.«
»Ich war nie fort«, antwortete die El-o-hym. »Du warst es, der fort war, Robert.«
»Ich weiß«, antwortete ich. »Ich war … an einem anderen Ort.« Die Worte klangen selbst in meinen eigenen Ohren unbeholfen. Bildete ich mir tatsächlich ein, irgendetwas vor ihr geheim halten zu können?
»Du warst an einem Ort, von dem noch nie ein Mensch zurückgekehrt ist, Robert«, sagte sie. »Und von dem kein Mensch je zurückkehren darf.«
Ich starrte sie einfach nur an. Ich hörte die Worte und irgendetwas in mir begriff auch, sofort und ohne dass es irgendeiner Erklärung bedurft hätte, wie sie sie meinte, aber dasselbe Etwas verhinderte auch, dass dieses Begreifen wirklich an mein Bewusstsein
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