Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
kannte er nicht. Er wusste, dass er sich auf seine eigene Kraft verlassen konnte, falls ihm jemand dumm kam, wenn er nach getaner Arbeit in irgendeiner Spelunke herumhing und ein paar Bier trank, bis er sich irgendwann ins Bett fallen ließ, um am nächsten Morgen wieder zur Arbeit zu erscheinen. Ein Tag war wie der andere und seit vor nunmehr elf Jahren seine Frau an einer tückischen Krankheit gestorben war, gab es auch keine anderen Menschen oder sonstigen Besitztümer mehr, die ihm so viel bedeuteten, dass er um ihren Verlust fürchten musste. Wovor oder worum sollte er also Angst haben?
Zumindest hatte er das bis vor ein paar Tagen geglaubt. Seither jedoch hatte sich seine Einstellung geändert.
Es war eine Veränderung, die er sich nicht erklären konnte, so wenig wie seine Furcht selbst. Hätte ihm vor einigen Wochen jemand erzählt, dass er sich irgendwann ausgerechnet vor einem Schiff fürchten würde, so hätte er schallend darüber gelacht.
Aber die HMS THUNDERCHILD war nicht einfach nur irgendein Schiff. Vor mehr als vier Monaten war sie in die Werft eingelaufen. Collins wusste nicht, was mit dem Kriegsschiff geschehen war, auf jeden Fall wies es einige Beschädigungen auf. In der Bordwand befanden sich mehrere kleine Löcher, die unbedingt abgedichtet werden mussten, zumal einige davon in gefährlicher Nähe zur Wasserlinie prangten. Eine Routinereparatur, mehr nicht, die höchstens wenige Tage Zeit in Anspruch nehmen würde.
Wenigstens hatte man das damals geglaubt.
Aber irgendetwas an dem Schiff war wie verhext. Die Löcher abzudichten, erwies sich als beinahe unmöglich. Die genauen Gründe dafür kannte Collins nicht und sie waren ihm auch egal. Er hatte damals an einem anderen Schiff gearbeitet, doch er hatte von Kollegen über die THUNDERCHILD gehört. Während der Reparaturarbeiten war es zu überdurchschnittlich vielen Unfällen gekommen, drei davon mit tödlichem Ausgang. Einige der Arbeiter hatten sich im Laufe der Zeit sogar geweigert, das Schiff überhaupt noch einmal zu betreten. Sie hatten nicht einmal mehr darüber sprechen wollen, oder wenn, dann nur hinter vorgehaltener Hand, und was sie dann zum Besten gegeben hatten, war nicht mehr als albernes abergläubisches Gerede gewesen.
Im Kern lief dieses Gerede immer wieder darauf hinaus, dass es an Bord des Zerstörers spuken sollte.
Collins hatte darüber lediglich gegrinst. Er war kein gläubiger Mensch und Aberglaube lag ihm erst recht fern. Das versponnene Gerede der anderen war ganz sicher nicht dazu geeignet, seine diesbezügliche Einstellung zu ändern, zumal niemand ihm Genaueres über die Art des angeblichen Spuks erzählen konnte – oder wollte –, geschweige denn irgendwelche Beweise dafür vorlegte. Das Schiff war den meisten, die darauf gearbeitet hatten, lediglich auf eine nicht näher zu beschreibende Art unheimlich.
Eines allerdings war Collins aufgefallen: Seine mit der Reparatur der THUNDERCHILD betrauten Kollegen hatten begonnen sich zu verändern. Fast alle kannte er, traf sich oft genug mit ihnen abends auf ein paar Bier und deshalb war ihm die Veränderung aufgefallen. Sie wurden wortkarger und weniger gesellig, einige von ihnen sogar regelrecht streitsüchtig, selbst die, die es vorher nie gewesen waren. Er hatte es jedoch auf den schleppenden Fortgang der Arbeiten und den daraus folgenden Druck von Seiten der Werftleitung geschoben.
Aus den anfangs veranschlagten Tagen waren Wochen geworden und schließlich war man dazu übergegangen, nicht mehr länger zu versuchen, die Löcher zu flicken, sondern einen Teil der Panzerung völlig zu erneuern. Dies hatte weitere Wochen in Anspruch genommen und zu dieser Zeit hatte auch Collins für einige Tage auf der THUNDERCHILD gearbeitet.
Seither hatte sich seine Einstellung dem Schiff gegenüber verändert und er konnte die Schilderungen der anderen nachvollziehen. Es gab keine konkreten Geschehnisse, die er benennen konnte, aber bei Betreten des Schiffes hatte er stets ein Unbehagen verspürt, das alles übertraf, was er zuvor erlebt hatte. Manchmal war es ihm vorgekommen, als ob sich die THUNDERCHILD veränderte, während er an Bord war. Mehr als einmal hatte er sich in den labyrinthischen Gängen und Korridoren verlaufen, was ihm sonst noch niemals in einem Schiff passiert war. Ein paar Mal hätte er sogar jeden Eid geschworen, dass es bestimmte Gänge und Korridorbiegungen noch wenige Stunden vorher nicht gegeben hatte, so verrückt ihm diese Gedanken nachträglich
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