Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
ausging, als es meine Hüfte berührte. Der Stoff meines Mantels begann zu schwelen.
Plötzlich stieß der Wurm einen zischenden Laut aus und prallte zurück. Er krümmte sich. Im allerersten Moment verstand ich nicht einmal, was geschehen war, doch dann gewahrte ich eine fingerlange, heftig blutende Wunde in seiner Flanke – und im gleichen Augenblick sah ich etwas Schwarzes durch den verkohlten Stoff meiner Manteltasche schimmern.
Ganz instinktiv griff ich zu, riss einen der Steinbrocken aus der Manteltasche und schwang ihn wie ein Messer. Ich dachte nicht darüber nach, was ich tat, und das rettete mir wohl das Leben, denn der Wurm spürte die Gefahr, die von meiner improvisierten Waffe ausging, sehr wohl. Mit einer unglaublich schnellen Bewegung warf er sich herum und versuchte davonzukriechen.
Aber so schnell er auch war, er war nicht schnell genug. Die dünne Steinscheibe traf seinen Körper in der Mitte und zerteilte ihn so mühelos wie das Skalpell eines Chirurgen. Der Wurm kreischte vor Schmerz und Agonie, krümmte sich und versuchte nach mir zu beißen.
Ich ließ ihm keine Chance. Ich spürte, wie mir die Sinne zu schwinden begannen, ich hörte trotzdem nicht auf, mit der steinernen Klinge immer und immer wieder nach ihm zu hacken, selbst, als er längst still dalag und sich nicht mehr rührte.
Howard erzählte mir später, dass Cohen und er den Stein gewaltsam aus meinen Fingern hatten lösen müssen, nachdem ich das Bewusstsein verloren hatte. Ich selbst erinnere mich kaum mehr daran. Zu sagen, dass ich in eine Art Blutrausch verfiel, wäre wohl nicht das richtige Wort – obwohl es der Wahrheit in der Sache wohl ziemlich nahe kam. Ich wusste nicht mehr, was ich tat; und hätte ich es gewusst, hätte ich kaum etwas dagegen tun können. Der Wurm war längst tot, ein zerfetzter, blutiger Kadaver, in dem jetzt nicht einmal mehr die bösartige Karikatur von Leben war, die ihn einst beseelt hatte, aber ich schlug und hackte und stieß immer wieder und wieder auf ihn ein, bis auch meine Hände längst zu bluten begonnen hatten und jedes Gefühl daraus wich.
In diesem Moment war diese Kreatur mehr als nur ein weiterer Feind für mich, mehr als nur ein weiteres Ungeheuer, das meine Gegner ausgesandt hatten, um mich zu vernichten und ihre Pläne endlich zu verwirklichen. Dieser Wurm versinnbildlichte in diesem Moment alles, was ich hasste; alles, vor dem ich je Angst gehabt hatte und alles, vor dem ich je zu fliehen versucht hatte. Ich war wie von Sinnen. Immer und immer wieder schlug ich auf die Kreatur ein und alles, woran ich in diesen Augenblicken denken konnte, war dies: Ich hatte mein Leben, mein gesamtes erstes Leben, dem Kampf gegen die finsteren Mächte aus der Vergangenheit gewidmet und ich hatte den höchsten Preis bezahlt, den ein Mensch zu zahlen imstande ist – den Tod. Und ich hatte wirklich geglaubt, für einige wenige, kostbare Wochen, dass ich genug getan hätte; alles und vielleicht mehr, als das Schicksal einem einzelnen Menschen abverlangen konnte.
Aber das stimmte nicht. Es war niemals genug.
Es hatte gerade erst wieder neu begonnen.
McDonald sah stirnrunzelnd auf die Taschenuhr, auf deren Deckel sein Daumen einen hässlichen Fettfleck hinterlassen hatte, klappte ihn mit der linken Hand zu und wickelte mit der anderen das Lunchpaket aus, das seine Frau ihm zurecht gemacht hatte. Es war noch nicht ganz Zeit zum Abendessen, aber weder McDonald noch seine beiden Kollegen nahmen es damit sehr ernst – so wenig wie ihre Vorgesetzten, die sowohl über diese wie über gewisse andere kleine Freiheiten, die die Männer sich dann und wann herausnahmen, hinwegsahen; vielleicht als Ausgleich für die schlecht bezahlte, unangenehme Arbeit, die die drei Nacht für Nacht in den Kellergeschossen der Pathologie verrichten mussten. Zumindest nahm McDonald an, dass es so war.
Er selbst empfand seine Arbeit als nicht besonders unangenehm; nicht, nachdem er so viel Zeit gehabt hatte, sich daran zu gewöhnen. Sicher, während der ersten Jahre hatte es ihm manchmal gewaltige Überwindung gekostet, seinen Dienst zu tun, aber das hatte sich geändert. Mittlerweile hatte McDonald seine eigene Einstellung zu den leblosen Körpern, die auf dem verchromten Tisch im Nebenraum landeten, und die war sehr simpel: tot war tot und es spielte eigentlich keine Rolle, wer der Tote war oder wie er gestorben war.
Der Bursche zum Beispiel, den sie an diesem Abend vorbereiteten, damit die Ärzte am nächsten Morgen
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