Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
auch vorkamen. Aber gegen das Unbehagen kam er nicht an. Das Gefühl, ein unerwünschter Eindringling in dem Schiff zu sein, war fast übermächtig geworden, ohne dass er es sich erklären konnte, aber er war mehr und mehr zu der Überzeugung gelangt, dass irgendetwas abgrundtief Böses von dem Zerstörer Besitz ergriffen hatte. Jeden Tag hatte er am Ende seiner Schicht erleichtert aufgeatmet und er war heilfroh gewesen, als man ihn nach einigen Tagen wieder zur Reparatur eines anderen Schiffes abgestellt hatte.
Als man die THUNDERCHILD schließlich aus dem Trockendock zu Wasser gelassen hatte, hätte dies um ein Haar in einer Katastrophe geendet. An irgendwelchen verborgenen Stellen war weiterhin Wasser ins Schiff eingedrungen. Es hatte so tief gelegen, dass nicht mehr viel gefehlt hätte, es vollends versinken zu lassen. Nur mit knapper Not hatte man es ins Trockendock zurückschaffen können und dort befand es sich seither, ohne dass weiter daran gearbeitet wurde. Von Zeit zu Zeit erschienen irgendwelche Ingenieure in Begleitung hoher Tiere des Schifffahrtsamtes und der Marine, um es zu inspizieren und über Konstruktionsplänen zu brüten, aber bislang hatte niemand die Ursache des Beinahe-Unterganges ergründen können.
Collins war sich bis zum heutigen Tage nicht sicher, was es mit der THUNDERCHILD auf sich hatte. Es lag inzwischen mehr als zwei Monate zurück, dass er den Zerstörer zuletzt betreten hatte, aber sein bloßer Anblick flößte ihm noch immer Unbehagen ein und obwohl es auf dem letzten und abgelegensten Dock der Werft lag, bekam er es an jedem Arbeitstag mehrmals zu sehen.
Auch an diesem Tag war dies nicht anders. Zusammen mit einigen Kollegen war er damit beschäftigt, letzte Reparaturen an den Deckaufbauten eines Seglers vorzunehmen, auf dem Dock, das dem der THUNDERCHILD am nächsten lag. Es war später Nachmittag und in knapp einer halben Stunde würde seine Schicht enden. Er vermied es, so gut es ging, zu dem Zerstörer hinüberzublicken, dennoch gelang es ihm nicht, dessen Nähe aus seinen Gedanken zu verbannen.
Fast den ganzen Tag über hatte es geregnet, doch im Westen lockerte sich die Bewölkung allmählich auf und gelegentlich brachen sogar die Strahlen der untergehenden Sonne durch die Wolkendecke.
Nur mit Mühe konnte Collins einen Schrei unterdrücken, als wieder einmal die Sonne kurzzeitig durch ein Wolkenloch brach und er den Schatten sah, der sich rings um ihn herum auf dem Deck des Segelschiffes ausbreitete.
Schatten?
Was er sah, war ein monströser Umriss, etwas wie ein gigantisch aufgeblähter Balg mit einer Vielzahl langer, tentakelartiger Arme, die wild umherpeitschten und nach ihm zu greifen schienen.
Für Sekunden war er wie gelähmt, unfähig sich zu bewegen, im eisernen Würgegriff einer Panik. Dann entglitt der schwere Hammer seinen Händen und traf seine Zehen. Ein wilder Schmerz zuckte durch seinen Fuß und trieb Collins die Tränen in die Augen. Er stöhnte und kniff die Augen zusammen.
Als er sie wieder öffnete, war der Bann gebrochen. Der Schatten war nicht länger der eines tentakelbewehrten Ungeheuers, sondern nichts weiter als der der gedrungenen Deckaufbauten der THUNDERCHILD; und gleich darauf schoben sich wieder Wolken vor die Sonne und der Schatten verblasste vollends.
Erst jetzt bemerkte Collins, dass er am ganzen Körper zu zittern begonnen hatte. Die schweren Arbeitsschuhe hatten ihn vor einer Verletzung bewahrt, aber noch immer stand das Bild des monströsen Schattens deutlich vor seinen Augen. Er wusste, dass er sich den Anblick nicht nur eingebildet hatte.
Kevin Collins hatte geglaubt, dass es nichts gäbe, das ihm noch Angst einflößen könnte, geschweige denn Panik.
An diesem Tag wurde er eines Besseren belehrt und obwohl er sich noch am gleichen Abend so gründlich betrank, wie seit dem Tod seiner Frau nicht mehr, gelang es ihm nicht, dieses Gefühl zu betäuben.
Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit jagte die Kutsche durch die menschenleeren Straßen und schwankte dabei von einer Seite zur anderen, dass ich bei jeder Kurve für einen Moment befürchtete, sie würde umkippen. Dennoch war vom Bock her fast ununterbrochen das Knallen der Peitsche zu hören, mit der Rowlf die Pferde zu noch größerer Eile antrieb. Jede Unebenheit des Kopfsteinpflasters wurde bei diesem Tempo fast ungefedert in den Innenraum übertragen, dass ich das Gefühl hatte, auf einem störrischen Maulesel zu reiten und Mühe hatte, nicht von der Sitzbank
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