Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
einen Finger hineinstecken konnte, aber so kreisrund, dass sie unmöglich auf natürliche Weise entstanden sein konnten. Ich strich behutsam darüber. Ein klein wenig gallertartiger, farbloser Schleim blieb an meinem Finger zurück. Angeekelt wischte ich mir die Hand an der Mauer ab.
»Sind die Löcher von einem der Bauarbeiter gebohrt worden?«, erkundigte ich mich.
Cohen zuckte mit den Schultern. »Nicht, dass ich wüsste. Wegen der Spurensuche habe ich ausdrücklich angeordnet, dass hier nichts verändert wird.« Er verzog das Gesicht zu einem gezwungenen Lächeln. »Aber ich glaube kaum, dass Hasseltime aus einem dieser Löcher gekrochen kam.«
Ich starrte ihn an und Cohens Grinsen geriet endgültig zur Grimasse. Was ein harmloser Scherz hatte werden sollen, der keinem anderen Zweck diente als dem, die angespannte Stimmung ein wenig zu verbessern, geriet zum Gegenteil; etwas, das wie ein böses Omen in der Luft hing.
»Das kanna ganich so sein«, brummte Rowlf, während wir uns auf den Rückweg machten. Er schüttelte verdrossen mehrmals hintereinander der Kopf. »Niemand nich taucht einfach so ausm Nichts auf. Vielleicht gab’sn Eingang da, wos alles zusammengekracht is. Irgendwie mussa Haselnuss ja reingekommn gewesn sein.«
»Hasseltime«, verbesserte ihn Cohen. Er warf Rowlf einen schrägen Seitenblick zu, nickte aber trotzdem bekräftigend mit dem Kopf. »Daran haben die Spezialisten auch schon gedacht. Die Erklärung überzeugt mich nicht sehr, wenn ich ehrlich sein soll, aber es ist leider auch die einzige Erklärung.«
»Muss es deshalb auch die richtige sein?«, fragte ich.
Cohen hob die Schultern. »Wenn man alles Unmögliche weglässt, dann muss das, was übrig bleibt, wohl die Wahrheit sein – so unwahrscheinlich es auch klingen mag«, antwortete er geheimnisvoll.
»Ein interessanter Satz«, pflichtete ich ihm bei. »Aber das erklärt noch nicht, wieso Hasseltime sich überhaupt hier unten befand, nachdem er vor rund einem Jahr angeblich in den Stollen unter der Felseninsel ums Leben kam.«
Cohen zuckte abermals mit den Schultern. »Anscheinend hat er den Einsturz dort und auch die Sprengung überlebt, aber er ist definitiv nicht mit von der Insel zurückgekommen. Dafür gibt es mehrere übereinstimmende Zeugenaussagen.«
»Können wir mit ihm sprechen?«, fragte ich. Wir hatten wieder die große Höhle erreicht, von der der Stollen abzweigte. Ich hätte in diesem Moment selbst nicht sagen können, warum, aber ich fühlte mich irgendwie … erleichtert. Als wäre dort drinnen etwas gewesen, dessen Anwesenheit ich gefühlt hatte. Etwas Böses.
Cohen nickte, schob sich den Helm aus der Stirn und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Wenn Sie wollen, sicher – aber es hat keinen Sinn. Er ist völlig apathisch und nimmt seine Umgebung gar nicht wahr. Kakophonie – oder so ähnlich, sagt der Arzt.«
»Tonie«, verbesserte ihn Rowlf.
Cohen sah ihn fragend an.
»Katatonie«, wiederholte Rowlf. »S’muss heißn tun: Katatonie.«
Cohen starrte ihn weiter an, schwieg aber.
»Hatte er denn nichts bei sich, das in irgendeiner Form Aufschluss darüber geben könnte, wo er die letzten Monate gesteckt hat?«, fragte ich rasch. »Irgendeine Kleinigkeit … ein paar Fasern an seiner Kleidung, Sand in den Schuhen … irgendetwas?«
»Unser Labor untersucht seine Kleider noch – bislang allerdings ohne Ergebnis.« Cohen griff in seine Tasche und zog eine etwa handtellergroße, fast runde Steinplatte hervor, die er mir reichte. »Das hier steckte in seiner Uniformtasche. Keine Ahnung, was das zu bedeuten hat.« Nach einer winzigen Pause und in leicht verändertem Tonfall fügte er hinzu: »Ich hatte gehofft, dass Sie mir vielleicht weiterhelfen könnten.«
Ich betrachtete die Scheibe; das heißt: ich versuchte es.
Es war ein unheimliches, Furcht einflößendes Gefühl, das vielleicht umso schlimmer war, als ich es nicht zum ersten Mal im Leben verspürte.
Da waren … Linien, die sich zu einem fremdartigen Symbol zusammenfügten. Bilder, die keine waren, aber irgendwie den Eindruck erweckten, zu welchen werden zu wollen. Symbole, deren Bedeutung mir verschlossen blieb, von denen ich aber einfach wusste, dass es keine guten Bedeutungen waren …
Es war ein äußerst seltsames, beunruhigendes Bild, das länger zu betrachten mir schwer fiel. Bereits nach wenigen Sekunden erwachte hinter meiner Stirn ein dumpfer Kopfschmerz, und meine Augen begannen zu schmerzen, als betrachte ich etwas, wozu zu
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