Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
klammern, wollte er nicht alles verlieren, woran er sein Leben lang geglaubt hatte.
»Bevor ich mir ein Bild machen kann, brauche ich erst mehr Informationen«, antwortete ich deshalb ausweichend. »Zunächst einmal über Hasseltimes Verschwinden und was genau damals auf dieser Insel vorgefallen ist. Können Sie für mich in Erfahrung bringen, ob sich der Kapitän dieses Schiffes in London befindet?«
»Das habe ich bereits«, antwortete Cohen. »Kapitän Blossom hat kurz nach den Ereignissen voriges Jahr seinen Abschied von der Royal Navy eingereicht und ist in den vorzeitigen Ruhestand getreten.«
»Dann kann man mit ihm reden?«
Cohen schüttelte enttäuscht den Kopf. »Zwei meiner Männer haben ihn schon vernommen, ohne etwas Neues zu erfahren. Er bleibt dabei, dass ein Stollen eingestürzt ist, und da er sah, wie die Felsen auf die Männer herunterfielen, stand für ihn außer Zweifel, dass niemand das Unglück überlebt haben könnte. Wenn Sie selbst mit ihm sprechen wollen, kann ich Ihnen natürlich die Adresse geben. Allerdings …«
»Allerdings was?«, hakte ich nach, als er nicht weitersprach.
»Der Mann ist ziemlich sonderbar, wie meine Leute mir berichtet haben.« Cohen tippte sich mit dem Zeigefinger gegen den Helm, der ihm prompt wieder in die Stirn rutschte. »Man kann es auch etwas direkter ausdrücken: Er tickt nicht mehr ganz richtig im Oberstübchen. Scheint so, als litte er unter Verfolgungswahn. Anscheinend ist das so eine Art … Berufskrankheit bei der Navy. Ich habe auch nach den beiden Marinesoldaten geforscht, die damals von der Expedition zurückkehrten. Einer hat sich wenige Wochen später selbst umgebracht, der andere sitzt seither in der Klapsmühle.«
Ich hatte Mühe, mir meine jäh aufkeimende Aufregung nicht anmerken zu lassen. »Geben Sie mir die Adresse«, verlangte ich – vielleicht ein wenig zu heftig, denn Cohen sah mich eine Sekunde lang durchdringend und mit einer neu aufkommenden Spur des überwunden geglaubten Misstrauens an, das jahrelang zwischen uns geherrscht hatte, aber dann nickte er, griff in seine Tasche und zog einen zerknitterten Zettel hervor, den er mir reichte. Blossoms Adresse stand bereits darauf. Völlig überrascht war er über meine Bitte also nicht.
»Gehen wir«, sagte Howard. »Wir können den Mann später besuchen.«
»Ich begleite Sie noch nach oben«, sagte Cohen. Er schauderte sichtbar. »Ich bin froh, wenn ich hier herauskomme, ehrlich gesagt. Das Ganze hier ist mir unheimlich.«
Aus dem Mund eines Mannes wie Cohen war dies ein erstaunliches Eingeständnis. Immerhin hatte ich selbst erlebt, wie er Zeuge echter, uralter Magie geworden war – und sich hinterher immer noch beharrlich weigerte, es zuzugeben. Ich gönnte es Cohen weiß Gott nicht (das gönnte ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind), aber er hätte vermutlich selbst Cthulhus Existenz noch dann verleugnet, wenn er ihm Auge in Auge gegenüberstehen sollte.
Wenn auch sicherlich nicht für lange.
Umso erstaunlicher war das, was er jetzt gesagt hatte.
Wir verließen das unterirdische Labyrinth auf dem gleichen Weg, auf dem wir gekommen waren, aber wesentlich schneller. Und auch ich atmete hörbar auf, als wir endlich wieder ans Tageslicht traten. Cohen war keineswegs der Einzige, dem das Gewirr von Stollen und Höhlen unheimlich war. Selbst der Anblick der Menschenmenge, die noch weiter angewachsen zu sein schien, während wir unter der Erde geweilt hatten, kam mir angenehmer vor als die düsteren, feuchten Stollen.
Obwohl ich nicht besonders begeistert davon war, führte uns Cohen diesmal direkt an der gewaltigen Ruine vorbei, zu der der Hansom-Komplex zusammengestürzt war. Ich schenkte dem Durcheinander aus zerborstenen Balken, Steinen und Schutt nur einen flüchtigen Blick – und blieb überrascht stehen und sah noch einmal und genauer hin.
»Was ist?«
Auch Howard hatte innegehalten und sah mich eine Sekunde lang eindeutig alarmiert an, ehe er meinem Blick folgte. Offenbar bemerkte er nichts Außergewöhnliches, denn sein Gesichtsausdruck wurde fragend, als er sich wieder an mich wandte. »Was hast du?«
Ich deutete stumm auf einen kleinen, graugetigerten Körper, der zur Hälfte unter einem Schuttberg vergraben lag. »Sieh mal.«
»Und?« Howards Stirnrunzeln vertiefte sich noch. Er zuckte mit den Schultern. »Eine tote Katze. Das ist traurig, aber ich denke nicht, dass ich mir im Moment darüber besondere Sor …«
Er verstummte, als sein Blick meiner
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