Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
fremdartig, aber ich bin mir sicher, dass es kein Zeichen der ALTEN ist. Ziemlich sicher wenigstens«, fügte er nach ein paar Sekunden hinzu.
Ungläubig runzelte ich die Stirn und betrachtete den Stein noch einmal und diesmal sehr viel genauer als das erste Mal. Wie schon zuvor gelang es mir nicht, den Verlauf der Linien klar zu erkennen. Sie waren auf eine schlichtweg unmöglich in Worte zu fassende Art ineinander gekrümmt und verschlungen und schienen vor meinen Augen zu verschwimmen. Nach ein paar Sekunden musste ich den Blick abwenden, als meine Augen erneut zu schmerzen begannen und der dumpfe Schmerz in meinem Schädel wieder erwachte. Es war die gleiche Wirkung, wie sie jedes Zeichen, jedes Bauwerk, ja sogar jedes Wort aus der dämonischen Welt der GROSSEN ALTEN auf einen Menschen ausübt.
Und dennoch …
Möglicherweise hatte Howard Recht.
Etwas an den sinnverwirrenden Linien war anders, als ich es kannte, wenn auch vielleicht nur um eine Winzigkeit. Es war ein Unterschied, den ich nicht benennen, im Grunde nicht einmal richtig erkennen konnte, sondern nur unterschwellig fühlte.
Aber selbst wenn dies kein Zeichen der GROSSEN ALTEN war, dann das einer Kultur, die ihr zumindest insofern glich, dass sie für Menschen ebenso fremdartig sein musste. Und wahrscheinlich ebenso tödlich.
»Nun?«, erkundigte sich Howard.
»Ich … ich weiß es nicht«, murmelte ich. Alles schien sich in meinem Kopf zu drehen. Ich blickte aus dem Kutschenfenster, doch das Schwindelgefühl verstärkte sich eher noch, sodass ich den Blick rasch wieder Howard zuwandte. Meine Verwirrung hatte einen Grad erreicht, der fast an körperlichen Schmerz grenzte. Und so ganz nebenbei verspürte ich plötzlich eine neue, nagende Furcht: Was, wenn Howard Recht hatte? Und wenn wir es plötzlich mit einem anderen, möglicherweise ebenso gefährlichem Gegner zu tun bekamen, einem noch dazu, über den wir absolut nichts wussten?
Ich weigerte mich, den Gedanken zu Ende zu denken.
»Aber ich«, erwiderte Howard. »Die Unterschiede sind winzig, aber sie sind da und ich bin sicher, dass ich Zeichen wie dieses schon einmal irgendwo gesehen habe.« Er sog genießerisch an seiner Zigarre und paffte eine weitere Rauchwolke in die Luft. Ich hustete, wie immer demonstrativ und wie immer völlig vergebens.
»Und noch etwas«, fuhr Howard fort. »Ich bin sicher, dass auf diesem Stein nur ein Teil eines sehr viel größeren Zeichens zu sehen ist. Zu viele der Linien enden einfach so am Rande des Steins. Das bedeutet, dass man sie nicht nur in diesen Stein eingraviert hat, sondern er aus einem noch viel größeren Relief herausgebrochen wurde.«
»Trotzdem«, beharrte ich. »Es muss eine Verbindung zu den GROSSEN ALTEN geben. Wenn Hasseltime wirklich auf dieser Insel war und ihn von dort mitgebracht hat, dann kann das kein Zufall sein. Du weißt, was diese Insel wirklich war!«
»Sicher. Ich glaube auch nicht an einen Zufall. Aber wenn es diese Verbindung gibt, dann müssen wir sie aufklären. Und ich fürchte, dass sie anders aussieht, als wir jetzt schon ahnen.« Er schüttelte den Kopf. »Wie gesagt, ich bin sicher, dass ich Zeichen wie dieses schon einmal irgendwo gesehen habe. Vielleicht auf einer Abbildung, in einem Buch … Wenn ich mich bloß erinnern könnte. Auf jeden Fall werde ich versuchen, mehr darüber herauszufinden.«
Ich hielt ihm den Stein entgegen. »Willst du ihn nehmen?«
Howard hob abwehrend die Hände. »Nein, lieber nicht. Behalte du ihn. Ich glaube, bei dir ist er besser aufgehoben.«
Was das betraf, war ich zwar gründlich anderer Ansicht, aber sein Tonfall zeigte, dass es keinen Sinn hatte, darüber diskutieren zu wollen. In einem Punkt hatte Howard eine fast schon verblüffende Ähnlichkeit mit Cohen: Wenn er etwas nicht verstehen wollte, dann tat er es nicht. Basta.
Seufzend verstaute ich den Stein wieder in meiner Manteltasche und lehnte mich zurück.
Obwohl wir vorhatten, Kapitän Blossom zu besuchen, hatte ich Howard gebeten, mich zunächst am Hilton abzusetzen, damit ich eine Kleinigkeit essen und mich umziehen konnte. Getreu dem Motto, dass Kleider Leute machten, hatte ich für das Gespräch mit Storm heute Morgen extra einen meinen vornehmsten Anzüge samt einem ebenso vornehmen Mantel ausgewählt. Beides mochte zwar geeignet sein, Eindruck auf Bauleiter zu machen, die mit ihrem Termin im Verzug sind, nicht aber für Erkundungsexpeditionen in unterirdische Gänge. Sowohl der Mantel wie auch der Anzug waren
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