Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
wahrscheinlich war das auch gut so, denn irgendjemand rüttelte ununterbrochen an der Klinke und polterte dabei weiter gegen die Tür. Ich glaubte eine Stimme zu hören, die in schrillem Tonfall meinen Namen schrie. Nach einigen Augenblicken identifizierte ich sie als die des Hotelmanagers.
Ich stand auf und warf einen Blick zum Fenster. Draußen war es noch hell, also konnten mein Ausflug und meine Ohnmacht nicht allzu lange gedauert haben. Erst nach ein paar Sekunden wurde mir der Fehler in meinen Gedanken bewusst. Obwohl der Himmel noch immer von dunklen Regenwolken verhangen war, konnte ich schemenhaft durch sie hindurch die Sonne erkennen. Die Fenster meiner Suite jedoch befanden sich nach Osten hin, und das bedeutete, dass es nicht mehr Nachmittag, sondern bereits wieder Morgen war.
Mühsam schlurfte ich zur Tür, machte aber auf halbem Wege wieder kehrt, als ich an einem Spiegel vorbeikam und einen flüchtigen Blick hineinwarf. Ich bot einen wirklich erbärmlichen Anblick. Es gab nicht einen Zoll an mir, der nicht irgendwie verdreckt, verbrannt, verätzt, zerrissen oder blutbesudelt gewesen wäre, und wenn es darüber hinaus noch eines weiteren Beweises dafür bedurft hätte, dass mein unheimliches Erlebnis kein Traum gewesen war, so wäre es der Wandschrank gewesen.
Der Treppenschacht war zwar verschwunden, aber der Schrank hatte sich trotzdem nicht in das zurückverwandelt, was er eigentlich sein sollte. Statt der ordentlichen Regale und Kleiderbügel enthielt er eine schwarze, gotterbärmlich stinkende Masse, in der es unentwegt brodelte und blubberte und die sich langsam und zähflüssig auf dem Boden vor dem Schrank auszubreiten begann, wie der Inhalt eines überlaufenden Gullys. Etwas in dieser Art musste es wohl auch sein.
Ich stand lange so da und blickte abwechselnd die langsam größer werdende Pfütze und den Kater an. Eines ließ sich inzwischen nicht mehr bestreiten und diese Erkenntnis erfüllte mich mit einer Angst, die beinahe körperlich wehtat: Meine Gegner waren so gefährlich und bereit wie ehedem und vielleicht hatte der Kampf, von dem ich bisher geglaubt hatte, dass er vor fünf Jahren sein vorläufiges Ende gefunden hätte, in Wahrheit an diesem Tage erst richtig begonnen.
Das Hämmern an der Tür wurde immer lauter und drängender, und jetzt hörte ich auch deutlich die Stimme des Hotelmanagers.
»Mister Craven! Ich bestehe darauf, dass Sie die Tür öffnen! Unverzüglich!« Er klang eindeutig hysterisch. Nun ja, in einer halben Minute würde er Grund dazu haben.
»Ich komme ja schon«, antwortete ich, während ich mich umwandte, den Kater auf die Arme nahm und mit einem Fußtritt den Stuhl zur Seite fegte, der den Türgriff blockierte. Ich hörte das Klirren eines Schlüssels, dann wurde die Tür mit einem Ruck aufgerissen, und MacIntosh stürmte wie ein zu klein geratener Racheengel ins Zimmer.
»Gut, dass Sie kommen«, empfing ich ihn. »Ich wollte sowieso gerade nach Ihnen rufen lassen. Wir müssen uns unbedingt einmal über den Zimmerservice in Ihrem Haus unterhalten, fürchte ich.«
»Hier muss es sein«, sagte ich, nachdem ich die Adresse noch einmal mit der auf dem Zettel verglichen hatte, den Inspektor Cohen mir am vergangenen Tag gegeben hatte. Kapitän Blossom bewohnte ein kleines Haus in einer Vorortsiedlung nicht weit von der Themse entfernt.
Howard nickte nur müde, stieg mit ungelenken Bewegungen als erster aus dem Wagen und wies den Kutscher an, hier zu warten. Unter seinen Augen lagen dicke schwarze Ringe, die verrieten, dass er entschieden zu wenig Schlaf gehabt hatte. Sein Besuch bei Viktor hatte bis spät in die Nacht gedauert, ohne jedoch ein greifbares Ergebnis zu bringen. Entsprechend begeistert war er gewesen, als ich ihn bereits um kurz nach neun Uhr aus dem Bett geworfen hatte, aber nach den unheimlichen Erlebnissen in dem Labyrinth hatte ich das Gefühl, dass die Zeit drängte. Irgendeine noch weitgehend unbekannte Gefahr braute sich rings um uns zusammen und solange ich nicht mehr darüber wusste, wollte ich keine Minute unnötig vergeuden.
Im Gegensatz zu Howard fühlte ich selbst mich mittlerweile wieder einigermaßen fit. Frei nach dem Motto, dass Frechheit stets siegt, hatte ich auch die Auseinandersetzung mit MacIntosh am Morgen durchgestanden, aber mir war klar, dass ich mich auf immer dünnerem Eis bewegte. MacIntosh hatte mir unzweideutig klar gemacht, dass er im Interesse des Rufes des Hotels nicht mehr bereit wäre, weitere Eskapaden
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