Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
Haus – von der ich annahm, dass es sich um die Blossoms handelte – kam mir zuvor.
»Lassen Sie sie herein.«
Mit finsterem Gesicht gab die Frau den Eingang frei. Wir betraten einen kleinen Flur und sie nahm uns die Mäntel ab. Hier, wie auch im Wohnzimmer, in das sie uns führte, war unverkennbar, dass es sich um das Heim eines Seemannes handelte. Seekarten und Bilder von Schiffen hingen an den Wänden, mehrere gerahmte Patente und Auszeichnungen der Royal Navy, auf den Regalen standen klobige Kompasse und andere nautische Instrumente, außerdem zahlreiche filigran gefertigte Flaschenschiffe.
Kapitän Blossom erwartete uns in einem Schaukelstuhl sitzend und legte bei unserem Eintreten eine Zeitung aus der Hand, in der er geblättert hatte. Er war ein grauhaariger Mann mit markantem, von Wind und Wetter gegerbtem Gesicht. Seine steife, übertrieben aufrechte Haltung zeugte noch von seiner Karriere als Berufssoldat. Aus eisgrauen Augen musterte er uns.
Sein Anblick traf mich wie ein Schlag.
Blossom. Ich hatte seinen Namen nicht gekannt, aber er war kein Fremder für mich.
So wenig, wie ich offensichtlich für ihn.
Die Zeitung in Blossoms Händen begann so heftig zu zittern, dass das Papier raschelte. Für einen winzigen Moment, vielleicht nur den Bruchteil einer Sekunde, breitete sich ein Ausdruck maßlosen Entsetzens auf seinen Zügen aus.
Wir waren uns schon einmal begegnet, vor ein paar Stunden erst, einige Meilen und eine Wirklichkeit entfernt.
Er war einer der Seeleute, die ich in dem Labyrinth getroffen hatte. Obwohl ich ihn nur eine Sekunde lang wirklich gesehen hatte, erkannte ich ihn zweifelsfrei wieder; ebenso wie er mich.
Dann war es vorbei. Blossom ließ die Zeitung vollends sinken und etwas in seinem Blick veränderte sich. Er strahlte noch immer Stärke aus, doch in seinen Augen war auch etwas, das mich sofort erkennen ließ, was Cohens Männer gemeint hatten. Sein Blick flackerte um eine Winzigkeit, huschte eine Spur zu schnell hin und her, um seine Furcht völlig überspielen zu können. Ich hatte Blicke wie diesen schon oft bemerkt. Es handelte sich nicht um Nervosität, sondern Blossom wirkte wie ein in die Ecke gedrängtes Tier, das verzweifelt nach einem Fluchtweg suchte.
»Sie wünschen?«, fragte er noch einmal – auf eine Art und Weise, die mir zweifelsfrei klar machte, dass es besser war, nichts von unserem ersten Zusammentreffen zu erwähnen. Wenigstens jetzt noch nicht. Für mich gab es keinen Zweifel, dass diese Begegnung für ihn bereits sehr viel länger zurücklag, als für mich, nicht nur deshalb, weil er in dem Labyrinth eine Marineuniform getragen hatte, während er nach Cohens Aussage bereits vor Monaten pensioniert worden war. Ich hatte sogar eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wann dieses Zusammentreffen für ihn gewesen war.
Ich setzte zu einer Erklärung an, doch Blossom unterbrach mich, kaum dass ich den Mund geöffnet hatte.
»Setzen Sie sich doch.« Er deutete auf einige freie Sessel. Seine Stimme klang autoritär und befehlsgewohnt, doch auch in ihr schwang ein Hauch von Furcht mit, die er nicht ganz verbergen konnte und die keinen fassbaren Grund zu haben schien, aber immer da war. »Polly – bitte bereiten Sie mir und den Herren doch einen Grog zu.« Er lächelte flüchtig. »Ein heißer Grog ist genau das Richtige bei dieser Kälte.«
Ich stellte mich und Howard erneut vor, während wir uns setzten. Es fiel mir schwer, weiter unbefangen zu klingen, aber zu meiner eigenen Überraschung bemerkte Howard nichts von dem, was zwischen Blossom und mir vorging. »Allerdings fürchte ich, dass hier ein kleines Missverständnis vorliegt«, fügte ich hinzu. »Inspektor Cohen ist zwar ein guter Bekannter von uns und er gab uns auch Ihre Adresse, aber wir sind selbst nicht von der Polizei.«
Ich weiß, sagte sein Blick. Laut und in etwas schärferem Ton als bisher fragte er: »Sind Sie Reporter?«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Wir sind lediglich aus … persönlichen Gründen sehr daran interessiert, was voriges Jahr auf dieser Felseninsel in der Themsemündung geschah.«
Für einen kurzen Moment flackerte sein Blick etwas stärker, irrte zum Fenster und zum Gemälde eines untergehenden Schiffes neben dem Kamin, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Alles, was passiert ist, habe ich schon erzählt«, behauptete er. »Oft genug. Vielleicht sogar ein paar Mal zu oft, Mister Craven. Es gibt nichts, was ich noch hinzufügen könnte.«
Das entsprach
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