Hexer-Edition 24: Das Haus der bösen Träume
Mauerwerk. Der Boden war mit einer dicken Staubschicht bedeckt, als ob seit Jahrzehnten niemand mehr in diesem Teil des Hauses gewesen wäre. Staubbedeckte Spinnweben hingen so dicht wie graue Vorhänge, sodass ich sie vor mir zur Seite schieben musste.
Kurz darauf endete der Korridor an einer Treppe. Ich hätte bereits längst wieder mein Zimmer erreichen müssen, doch ich war an keiner einzigen Tür vorbeigekommen und es hatte auch keine Abzweigung gegeben. Trotzdem stand ich nun am Kopfende einer schmalen hölzernen Wendeltreppe ohne Geländer, die sich in einem engen Schacht nach unten schraubte. In ganz Andara-House gab es keine solche Treppe.
Wieder verspürte ich das kurze Aufwallen von Panik, doch erneut verflog das Gefühl sofort wieder. Ich verstand nicht, was um mich herum vorging, aber ich spürte, dass mir keine Gefahr drohte.
Die Regeln von Raum und Zeit schienen außer Kraft gesetzt zu sein. Obwohl ich mich noch immer in Andara-House befand, befand ich mich gleichzeitig auch in einer anderen Welt, der Welt des unheimlichen Eigenlebens, mit dem mein Vater dieses Haus vor langer Zeit ausgestattet hatte. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich wirklich körperlich hier war, auch wenn es sich nicht um einen normalen Albtraum handelte. Das Haus versuchte mir etwas mitzuteilen, daran gab es für mich keinen Zweifel mehr, und da ich ohnehin keine Möglichkeit hatte, mich dagegen aufzulehnen, blieb mir nichts anderes übrig, als zu tun, wozu es mich drängte.
Merlin miaute leise und sprang einige Stufen hinab. Ich zögerte nicht länger, sondern folgte dem Kater in die Tiefe. Die hölzernen Stufen knarrten erbärmlich und bogen sich unter meinem Gewicht durch, sodass ich jeden Moment befürchtete, dass eine von ihnen unter mir zerbrechen könnte, doch ich wusste, dass das Haus das nicht zulassen würde.
Am Ende der Treppe erreichte ich einen weiteren Korridor. Auch er befand sich in einem heruntergekommenen Zustand, wenn auch nicht ganz so schlimm wie der, aus dem ich gerade gekommen war. Merlin kauerte ein paar Schritte entfernt vor einer Tür in der Wand. Nach kurzem Zögern legte ich eine Hand auf die Klinke und drückte sie nach unten. Knarrend schwang die Tür auf.
Der Raum dahinter war groß und leer, doch im Gegensatz zu dem Korridor war er sauber und befand sich in einwandfreiem Zustand. Das Kerzenlicht glitt flackernd über ordentlich tapezierte Wände, die ein dezentes Blumenmuster zeigten. Obwohl es keinerlei Anzeichen für eine Bedrohung gab, erfüllte mich der Raum mit einem dumpfen Unbehagen, das ich mir nicht erklären konnte. Dennoch trat ich ein paar Schritte weit in das Zimmer hinein. Etwas an der hinteren Wand irritierte mich, doch erst als ich nah genug herangekommen war, erkannte ich, was damit nicht stimmte.
Die Blumen auf der Tapete waren verwelkt. Die frischen, hellen Farben der Blüten waren zu einem bräunlichen Gelb verblasst und sie ließen die Köpfe hängen.
Für einen kurzen Moment kochte Ärger auf Storm in mir auf, dann erst wurde mir bewusst, dass er nichts damit zu tun hatte. Eine Tapete wie diese gab es mit größter Wahrscheinlichkeit nirgendwo auf der Welt, ich befand mich immer noch in der merkwürdigen Traumwelt des Hauses. Was ich erlebte, war nicht real. Noch während ich die Wand anstarrte, welkten die aufgedruckten Blumen weiter, trockneten regelrecht aus und verwandelten sich in verdorrte, grau-braune Strünke.
Schaudernd wandte ich mich ab und erst in diesem Moment entdeckte ich die uralte Standuhr in einer Ecke des Raumes und den Safe, der über einem Kamin in eine der anderen Wände eingelassen war, und begriff, in welchem Zimmer ich mich befand. In diesem Safe hatte ich einst die SIEGEL DER MACHT aufbewahrt, ehe Priscylla sie in jener schicksalhaften Nacht zusammengefügt und gebrochen hatte.
Dies war die ehemalige Bibliothek.
Mit einem gepressten Stöhnen wich ich zurück. Wie schon am Vormittag drohten mich die Erinnerungen, die mit diesem Raum verbunden waren, zu überwältigen, und nicht einmal die wattige Benommenheit, die meinen Verstand bislang umfangen hatte, vermochte das Entsetzen zu dämpfen, das ich mit einem Mal empfand. Eine eisige Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen und meinem Rücken aus.
Warum hier? Warum hatten mich Merlin und das Haus gerade in diesen Raum gelockt? Das Schreckliche, das hier einst geschehen war, hatte seine Spuren hinterlassen und das nicht nur in meiner Erinnerung. Etwas Finsteres, körperlos Drohendes
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