Hexer-Edition 24: Das Haus der bösen Träume
Dekadenz hatten sich ausgebreitet, Generationen von Winninghams hatten nur noch ihren Vergnügungen gefrönt, das Familienvermögen verprasst und den guten Ruf des Adelsgeschlechts beschmutzt.
Erst unter Sir Geoffreys Vater hatte sich dies wieder geändert. Mit eiserner Hand hatte er die Familie regiert und keinerlei Verfehlungen geduldet, hatte das bereits rapide im Schwinden begriffene Vermögen durch kluge Investitionen in aufsteigende Industriezweige binnen weniger Jahrzehnte vervielfacht und nahezu erloschene Kontakte zum königlichen Hof und den höchsten gesellschaftlichen Schichten reaktiviert. Kurz – er hatte dem Namen Winningham wieder die Bedeutung verschafft, die er verdiente.
Diesem Erbe hatte auch Sir Geoffrey sich Zeit seines Lebens verpflichtet gefühlt. Mit eiserner Energie und Willenskraft hatte er den Weg seines Vaters weiterverfolgt, hatte jeden Widersacher mit der Kraft seiner Ellbogen und dem gänzlichen Verzicht auf schwächliche Anwandlungen wie Skrupel oder Mitleid aus dem Weg geräumt und sich zu dem gemacht, was er heute war: einem der reichsten und mächtigsten Männer des Königreichs.
Darüber hinaus war er auch trotz seiner mittlerweile fast siebzig Jahre noch bei bester Gesundheit, was er nicht zuletzt auf seine regelmäßigen Spaziergänge zurückführte. Mochten andere sich zu vornehm sein, ihre Hunde selbst auszuführen und ihr Personal damit beauftragen; seit mehr als vierzig Jahren bestand Sir Geoffrey darauf, diese Aufgabe persönlich wahrzunehmen. Der morgendliche und abendliche Spaziergang gehörten ebenso zu seinem Tagesrhythmus wie die unvermeidliche Tasse Tee am Nachmittag. Ungeachtet seines persönlichen Befindens und gleichgültig, welches Wetter herrschte, hatte er es bislang nicht ein einziges Mal versäumt, seiner selbst auferlegten Pflicht nachzukommen.
Auch an diesem Abend verließ er pünktlich um zehn Uhr das Haus, um seine obligatorische Runde um den Ashton Place zu drehen. Die beiden Rottweiler, die er an der Leine mit sich führte, hörten auf die Namen Devil und Lucifer, beides edle Tiere mit einem hervorragenden Stammbaum, erstklassig dressiert, sodass sie ihm aufs Wort gehorchten, und die besten Hüter seines Eigentums, die er sich nur wünschen konnte. Eine so exklusive Wohngegend wie diese zog zwangsläufig auch zwielichtiges Gesindel an, doch jeder Einbrecher, der es wagen sollte, auch nur einen Fuß auf seinen Besitz zu setzen, würde mehr als nur diesen Fuß verlieren.
Leichter Nieselregen fiel, in der Ferne braute sich ein Gewitter zusammen. Sir Geoffrey ließ sich davon nicht im Mindesten beirren, sondern schlug lediglich den Kragen seines Mantels hoch und zog den Hut tiefer in die Stirn. Auf einen Schirm hatte er angesichts des recht heftig wehenden Windes verzichtet.
Mit kräftigen, weit ausgreifenden Schritten marschierte er los. Die beiden Hunde trotteten gehorsam neben ihm her, ohne an der Leine zu ziehen, nur gelegentlich blieben sie stehen, um an einer Mauer oder einer Straßenlaterne das Bein zu heben.
Alles schien wie immer und doch – irgendetwas war anders, aber erst als er sich dem Schandfleck des ganzen Platzes – dem Haus mit der Nummer neun – näherte, wurde sich Sir Geoffrey bewusst, um was es sich handelte.
Es war zu ruhig.
Während er etwas langsamer als bisher weiterging, betrachtete er missmutig das Anwesen, das von einem Bretterzaun voller schreiend bunter Plakate umgeben war, die für sich allein schon eine Beleidigung des guten Geschmacks darstellten, aber das war noch das geringste Übel.
Ursprünglich hatte es einem gewissen Roderick Andara gehört, einem Emporkömmling von zweifelhaftem Ruf, der auf ebenso zweifelhafte Art und Weise ein gewaltiges Vermögen angehäuft hatte. Darüber hinaus war er Amerikaner gewesen, und dass jemand aus den abtrünnigen Kolonien ausgerechnet hier, an einem der exklusivsten Plätze Londons, ein Haus baute, stellte für Sir Geoffrey bereits ein Sakrileg dar, ein Symbol für den schleichenden Niedergang des großartigen Empires. Noch schlimmer aber war es nach Andaras Tod geworden, als sein Sohn hier einzog; ein extrem zwielichtiges Subjekt, das wegen Verstrickung in verschiedene niemals ganz aufgeklärte Morde mehrfach mit der Polizei zu tun bekommen hatte. Und das darüber hinaus ebenfalls aus Amerika stammte.
Aber auch Craven war tot, bei einem Feuer in seinem Haus ums Leben gekommen. Jahrelang hatte die ausgebrannte Ruine den Ashton Place verschandelt, ehe vor einigen Monaten
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