Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
preisverdächtige, gut geschriebene Literatur, die die manchmal etwas verstaubte Sprache der Science Fiction um neue Begriffe und Ideen bereichert. Cory Doctorow ist erwachsen geworden und erzählt uns von Dingen, die wirklich wichtig sind. Wenn Sie wissen wollen, wie gut »Social Fiction« sein kann, lesen Sie dieses Buch so schnell wie möglich!
Uwe Neuhold
CORY DOCTOROW
LITTLE BROTHER (LITTLE BROTHER)
Roman • Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn • Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2010 • 492 Seiten · €14,95
Terroranschlag in San Francisco! Eine Brücke und ein Teil der U-Bahn werden gesprengt, Tausende Tote sind zu beklagen. Marcus Yallow, ein siebzehnjähriger Highschool-Schüler, hält sich zum Zeitpunkt des Attentats zufällig mit Freunden in der Nähe der Brücke auf und wird von Soldaten des Heimatschutzministeriums verhaftet. Da Marcus sich einiger Hackerattacken verdächtig gemacht hat und passende Werkzeuge wie WLAN-Finder und RFID-»Killer« besitzt, hält man ihn tagelang fest. Nach demütigenden Verhören wird er schließlich freigelassen, doch sein verletzter Freund Darryl bleibt verschwunden. Marcus wird aufgefordert, über die Vorkommnisse Stillschweigen zu bewahren; außerdem müsse er damit rechnen, von nun an permanent überwacht zu werden.
Infolge des Anschlags nimmt der Kongress den Patriot Act II an. Diese Maßnahme bewirkt, dass in Klassenzimmern Videokameras installiert werden und das Thema »Nationale Sicherheit« auf den Stundenplan kommt. Im Unterricht wird nun diskutiert, unter welchen Bedingungen die Regierung die Verfassung außer Kraft setzen kann. Gegenüber seiner Familie hat Marcus über seine Verhaftung geschwiegen. Um sich zur Wehr zu setzen, beschließt er nun, mit anderen Jugendlichen ein eigenes Netz auf Basis gecrackter Spielkonsolen zu bilden: das Xnet. Da er seine alte Identität dem Heimatschutzministerium offenlegen musste, legt er sich einen neuen Decknamen und über Server der schwedischen Piratenpartei eine neue E-Mail-Adresse zu. Seine Xnet-Website heißt OpenRevolt. »Das Beste an der ganzen Sache war, wie ich mich dabei fühlte: Ich hatte Kontrolle. Die Technik arbeitete für mich, diente mir, schützte mich. Sie spähte mich nicht aus. Das ist der Grund, weshalb ich mich so für Technik begeistere: Wenn man sie richtig einsetzt, gibt sie einem Macht und Privatsphäre.« Über das Xnet werden alle möglichen Aktionen koordiniert, um sich der Überwachung zu entziehen und für ein bisschen öffentliches Chaos zu sorgen. Aber nicht nur das. Wie es in einer Radiomeldung
heißt: »Missbrauch von Zuständigkeiten – so heißt der neueste Kick in San Franciscos berüchtigtem Xnet, die Bewegung … besteht aus lauter ›little brothers‹, die ihrerseits die Heimatschutzbehörde bei ihren Antiterrormaßnahmen überwachen und Fehler und Exzesse dokumentieren.« Doch das selbstorganisierte Netz ist nicht sicher. Mit einem harten Kern an vertrauenswürdigen Freunden und deren Freunden will Marcus ein »web of trust« organisieren, ein Netz im Netz, bei dem ein spezielles Verschlüsselungsverfahren angewendet wird. Aber Marcus muss erkennen, dass auch dieses Netz unterwandert wird und er in Gefahr schwebt.
»Little Brother« ist weit mehr als ein Nerd-Roman für Jugendliche. Mit seinen Altersgenossen teilt Marcus eine große technische Kompetenz; die Technik ist selbstverständlicher Teil der Jugendkultur geworden. Bei Doctorow drückt sich das nicht (allein) im Downloaden von Musik und Computerspielen aus, sondern in einem konstruktiven Umgang mit diversen Hilfsmitteln, um sich die Welt der Erwachsenen in Gestalt von Schule und Eltern vom Leib zu halten. Die Gangerkennungskameras auf den Schulgängen kann man verwirren, indem man kleine Steine in den Schuhen trägt, die die eigene Gangart vom gespeicherten Profil abweichen lassen. Das SchoolBook, ein von der Schule zur Verfügung gestelltes Laptop, wird gecrackt und mit versteckten Programmen ausgestattet. RFID-Chips in Schulbüchern, die bei unerlaubtem Entfernen auch zur Fernüberwachung dienen können, werden durch »Faraday-Beutel« (mit Kupferdraht gefütterte Umschläge) neutralisiert. Marcus loggt sich schon mal für zehn Sekunden in ein Bot-netz mit dreitausend PCs ein, um zehntausend gleichzeitige Anrufe und SMS auf ein Handy zu leiten und damit einen Schüler von der Gegenseite abzulenken. Eine selbstgebastelte LED-Röhre aus einer Klopapierrolle dient als Detektor für
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