Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
es ihnen
nicht vergönnt sein, sich ineinander zu verlieben und dies durch noch absurderes Gehabe als sonst kundzutun? Myra Çakan ist mit »Dreimal Proxima Centauri und zurück« ein durchaus amüsanter und ungewöhnlicher Roman gelungen, der als Parodie auf SF-Klischees allerdings nur bedingt funktioniert. Wenn Sie alte amerikanische Filme mögen, in denen die oben erwähnten Claudette Colbert und Cary Grant mitspielen und allerlei Schabernack treiben, dann könnte das Buch etwas für Sie sein. Und vielleicht auch, wenn Sie Klimbim heimlich doch ganz lustig fanden.
Christian Hoffmann
TED CHIANG
DIE HÖLLE IST DIE ABWESENHEIT GOTTES
Erzählungen · Aus dem Amerikanischen von molosovsky · Golkonda Verlag, Berlin 2011 · 182 Seiten · € 14,90
Die Science Fiction, so tönt es aus allen Richtungen, hat ihre beste Zeit hinter sich: Nichts mehr ist geblieben vom stolzen Anspruch, das dunkle Terrain der Zukunft zu erhellen und den Leser via wohligem »sense of wonder«-Schauer auf künftige Menschheitsabenteuer einzustimmen; völlig zurecht wenden sich die Leser folglich von einem Genre ab, das, in der Sprache gewisser Jungpolitiker, nicht mehr »liefert«. Nun, daran ist dies und das wahr (die Zeiten, in denen Arthur C. Clarke und Robert A. Heinlein live im Fernsehen den ersten Mondspaziergang kommentieren durften, sind tatsächlich vorbei; aber andererseits: Wir spazieren auch nicht mehr auf dem Mond, sondern schnüren Rettungspakete für Griechenland), ist dies und das marktlogisch (einige SF-Autoren haben es sich darin gemütlich gemacht, was Harry Mulisch einmal ein »braves Genre« nannte: eine bebilderte Hochrechnung von Tagesaktualitäten, die, wenn überhaupt, ihre Spannung aus einem konventionellen Thrillerplot bezieht), und ist dies und das ganz banal ignorant: Verweigert etwa Charles Stross den »sense of wonder«, wenn er bemannte Raumfahrt für einen ziemlichen Unsinn hält? Hat Paolo Bacigalupi nichts mit der Zukunft am Hut, wenn er seine Geschichten in der Dritten Welt ansiedelt? Liefert
Ted Chiang nicht, wenn er keine Lust hat, tausendseitige Space Operas zu schreiben?
Überhaupt Ted Chiang, wunderbares Beispiel. Mit seinen knapp dreizehn seit 1990 geschriebenen Erzählungen hat der Amerikaner so ziemlich jeden Preis eingeheimst, den das Genre zu vergeben hat, und was immer es an Ausreden gegeben haben sollte, ihn zu ignorieren, ist jetzt obsolet: Denn das bei Golkonda erschienene Buch »Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes«, das fünf seiner Geschichten erstmals auf Deutsch versammelt, ist »sense of wonder« pur. Da flüchtet der Autor nicht in Meta-Texte oder Insider-Spielchen, sondern macht, was jede neue Generation von Autoren machen sollte, wenn sie das Genre ernst nimmt: Er sucht sich jenen archimedischen Punkt, an dem man das, was wir über die Welt denken, so weit biegen kann, dass es eine Form ergibt, die man aus gutem Grund Science Fiction nennt und nicht Fantasy. Zukunft? Natürlich, irgendeine Zukunft wird es schon sein, wenn uns Außerirdische einen Besuch abstatten oder rätselhafte Maschinenwesen über ihre Herkunft philosophieren, aber es könnte auch die Zukunft einer anderen Gegenwart sein oder womöglich die Gegenwart einer von uns herbeimythisierten Vergangenheit. Ted Chiang hat Informatik studiert und weiß: Wenn wir über die Natur sprechen, sprechen wir über unsere Kenntnisse von der Natur, sprechen wir über Informationen , also Wahrscheinlichkeiten, die sich im Hinblick auf Myriaden von Unwahrscheinlichkeiten einstellen (oder auch nicht). Natürlich gibt es kosmische Fakten und Eigenschaften von Materialien und Regelmäßigkeiten und solche Sachen – aber gilt das auch für die, wenn man so will, Algorithmen, nach denen wir Welterklärung betreiben? Warum nicht einmal, wie in »Der Turmbau zu Babel«, ein Universum beschreiben, wie es sich unsere alttestamentarischen Vorfahren in etwa zusammengeschustert haben, ein Universum also, in dem das ptolemäische Weltbild physikalische Gültigkeit besitzt – und in dem es trotzdem erst das soziale Verhalten der Menschen ist, das daraus eine »Welt« macht? Oder, wie in »Geschichte deines Lebens«, eine außerirdische Spezies, die eindeutig in derselben beobachtbaren Welt lebt wie wir, aber diese beobachtbare Welt völlig anders interpretiert, nämlich nicht kausal, sondern teleologisch – und darauf ein ebenso festes beziehungsweise ebenso fragiles semantisches Gebilde errichtet wie wir? Oder, wie in der furiosen
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