Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
Raketenbasis mit nach Hause nimmt, damit die kluge kleine Hündin mit seinen Kindern spielen kann.
Doch Abadzis beschränkt sich nicht auf das Schicksal seines schwanzwedelnden Protagonisten. Vielmehr stellt er eine gesamte Ära dar, in der das typisch menschliche Greifen nach den Sternen von globaler politischer Bedeutung gewesen ist. Permanent hat Abadzis die Menschen im Blick, die auch ohne die Verbindung zu einem in ständiger Gefahr lebenden, dem Tode geweihten Hund in einer brisanten, schwierigen Lage stecken – in einer Welt, in der blindwütiger Patriotismus über alles geht und ein falsches Wort und eine vage Verleumdung schreckliche Folgen haben können. Was niemand besser weiß als Chefkonstrukteur Sergei Koroljow, der vor seinem Aufstieg als treibende Kraft des Sputnik -Projekts in einem Gulag inhaftiert war. Offenheit ist demzufolge nur selten Teil des aufgesetzten Alltags, der um Laika herum gelebt wird, und wird noch am ehesten in einem eingebildeten Gespräch vor dem Hundezwinger erreicht, wenn die aufgestauten Schuldgefühle ein dringend nötiges Ventil suchen …
In vielen kleinen Panels und mit einem ganz eigenen künstlerischen Duktus fängt Abadzis das Leben der Männer und Frauen in dieser Hochphase des Kommunismus ein und verknüpft ihr Schicksal mit der rasanten Entwicklung des sowjetischen Raumfahrtprojekts
und dem Werdegang von dessen erstem großen, vierbeinigen Helden. Dabei ist Abadzis, dessen Comic-Arbeiten schon in der Times und im Guardian erschienen, zuweilen so detailverliebt wie Tolkien und achtet sogar auf eine akkurate Darstellung der Mondphasen, wann immer es anhand eines konkreten Datums möglich gewesen ist. Seine umfassenden Recherchen der Hintergründe und der wahren Begebenheiten führten Abadzis, der heute in London lebt, unter anderem in die British Library und in Koroljows Haus in Moskau. Der Aufwand hat sich gelohnt: Wahrscheinlich war es nur mit so vielen harten Fakten möglich, durch das allgegenwärtige politische Lügengespinst zu blicken und vor allem das spezielle Zeitgefühl dieser von hektischer, ja gefährlicher Betriebsamkeit durchzogenen Ära hinter dem Eisernen Vorhang so gut auf die Seiten seines nicht ohne Grund mit dem Eisner Award prämierten Comics zu bannen.
Trotz der tollen Verwebung von Nachforschungen, Tatsachen und der Phantasie eines begabten Erzählers hätte Laika am Ende noch über seinen Protagonisten stolpern können. Denn es ist alles andere als leicht, bei einem niedlichen Hund mit einem so tragischen Schicksal – der laut zeitgenössischen Fotografen wirklich herzallerliebst und vereinnahmend gewesen sein soll – nicht permanent ins Kitschige abzudriften. Abadzis gelingt dieses Kunststück jedoch beinahe durchgehend: Seine Bilder und Dialoge sind immer sehr gefühlvoll und häufig sogar rührend, aber eben nur selten unangenehm gefühlsduselig. Nach dem zweiten Kapitel und einer surrealen Traumsequenz eigentlich so gut wie gar nicht mehr.
Comic-Heldengeschichten um die klassischen Superhelden wie den amerikanischen Super-Pfadfinder Superman und seinen Superhund Krypto stehen angesichts der omnipotenten Macht des Mannes und des Hundes aus Stahl gerne in dem Verdacht, Menschlichkeit und das Gefühl echter Herausforderungen vermissen zu lassen, da die Heroen quasi unverwundbar sind und nicht scheitern, ja damit letztlich nicht sterben können. Demnach ist Laika genau der richtige Comic für alle, die mit dem endlosen Kampf für Gerechtigkeit und eine bessere Welt nichts anfangen können. Denn Nick Abadzis Graphic Novel ist eine tierische, dramatische
und doch realistische Heldengeschichte mit ausgesprochen viel Tragik und Menschlichkeit, deren bekannter Ausgang nichts an ihrer Eindringlichkeit oder handwerklichen Qualität ändert. Oder daran, dass echte Helden nicht immer ihr Happy End bekommen.
Immerhin, Laika bekam noch ein paar alternative Enden spendiert: Denn um einen Washingtoner Comicladen zu unterstützen – und weil die Leute ihn immer wieder auf den Comic ansprechen und man sich, so Abadzis, manchmal eben wünscht, das Ende einer beziehungsweise der Geschichte ändern zu können –, schuf der Künstler 2011 ein paar kurze Strips mit alternativen Schlussszenen für seinen Comic-Roman, wobei sogar Platz für eine Hommage an Kubricks 2001 war. Aber egal mit welchem Ende – Nick Abadzis Laika ist stets ein Ausnahme-Comic.
Christian Endres
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