Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
ganz eigenen Gruppendynamik, die schnell zur Eskalation führt.
Die zeichnerische Ausgestaltung der verkommenen Zukunft in Remenders Szenario oblag Greg Tocchini. Der 1979 in Brasilien geborene Künstler bringt Seite für Seite all den Schmutz und all das Blut in Remenders pessimistischer Zukunftsvision zum Leuchten und nutzt dabei eine erstaunlich bunte Farbpalette. Obendrein geizt er keineswegs mit sexy Einstellungen oder handfester Action-Kost, während die Verdorbenheit des heruntergewirtschafteten Amerikas immer im zeichnerischen Fokus bleibt. So führt uns Tocchini trittsicher durch die ziemlich textlastige Story voller Gewalt und Erotik.
Eine Frage stellt sich während der Lektüre allerdings unweigerlich: Hätte Autor Remender den sozialkritischen Elementen seines interessanten Backgrounds mehr Raum geben müssen? Vielleicht. Die Story und ihre Figuren beeinflusst Remenders Zurückhaltung in Bezug auf ein tieferes Eintauchen ins Setting aber nicht weiter, und für einen tollen Rahmen genügen die gelegentlichen Schnipsel allemal. Die Art und Weise, wie Remender sein Setting nebenbei mit Leben füllt, erinnert sogar an Veteranen wie Frank Miller oder Howard Chaykin. Auch in den einstmals revolutionären dys-topischen Comic-Klassikern dieser beiden einflussreichen Künstler waren Nachrichtensendungen ein bewährtes Mittel, um den SF-Hintergrund ihrer Szenarien zu zementieren. Bei Remender geschieht dies jedoch nie im Zentrum einer Seite, sondern eher beiläufig und ein wenig abseits der narrativen Hauptstraße, wenn etwa irgendwo im Hintergrund eines Motelzimmers ein Fernseher läuft und die Sprechblasen uns mit TV-Talk-Runden und News-Sendungen versorgen, in denen hitzig über den Neuro-Inhibitor debattiert und berichtet wird. Hier zollt Remender der Social Fiction dann auch am ehesten Tribut – etwa wenn Experten im Studio darüber streiten, ob es ethisch vertretbar sei, die Rückgewinnung der Sicherheit eines Landes damit zu erkaufen, dass alle Individuen von der moralischen Entscheidungspflicht befreit werden, indem ein Signal diese Entscheidung für sie trifft.
The Last Days of American Crime
Unter SF-Aspekten wäre hier sicherlich mehr zu holen gewesen. Andererseits hätte ein entsprechend stärker ausgeleuchteter Background, der dann zwangsläufig zu oft mit dem Vordergrund verschmilzt und automatisch mit der harten Gangster-Story konkurriert, schnell das Tempo aus der Geschichte nehmen können. So hat der unerbittliche Noir-Reißer bis zum letzten Panel immer ordentlich Schwung. Die dystopische Präventionsmaßnahme bleibt dagegen lediglich ein interessantes Hintergrundrauschen, das immer irgendwie präsent ist, aber nie in letzter Konsequenz untersucht wird, nachdem es die Handlung erst einmal ins Rollen gebracht hat und die Uhr, deren Ticken wir und die Protagonisten beständig hören, gnadenlos herunterlaufen lässt.
Darum hat Remenders düster-futuristischer Geldraub nicht zuletzt wegen seiner erzwungenen Geschwindigkeit eine enorme Sogwirkung und schlägt bis zum Finale genretypisch noch so manchen unerwarteten Haken – und selbst ganz am Schluss gibt es noch den einen oder anderen Kniff, mit dem Remender seine Leser überrascht. Für die Lektüre seines SF-Comics sollte man also immer alle Sinne beisammen haben, um nicht abgehängt zu werden. Dann steht dem Genuss dieser großartigen Neo-Noir-Gangstergeschichte aber nichts mehr im Wege.
Die ursprüngliche Definition des Noir-Genres geht auf die kritische Beschäftigung mit den düsteren Hollywood-Krimis der Dreißiger-
und Vierzigerjahre zurück. Kein Wunder, dass angesichts dieser Tradition sowie der beachtlichen Erfolge diverser ComicVerfilmungen bereits eine Leinwand-Adaption von The Last Days of American Crime geplant ist: Die Filmversion des kernigen Szenarios, das für eine cineastische Aufbereitung in der Tradition epischer Gangster-Streifen wie Heat geradezu prädestiniert scheint, steht schon in den Startlöchern. In absehbarer Zukunft soll sie mit Sam Worthington ( Avatar ) in der Hauptrolle in die Kinos kommen.
Die Tage, da The Last Days of American Crime ein Geheimtipp für findige US-Leser war, die von Alex Maleev’ und Greg Tocchinis phantastischen Heftcovern angezogen wurden, scheinen also nicht nur wegen der überfälligen deutschen Hardcover-Ausgabe beim Bielefelder Splitter-Verlag gezählt. Zum Glück. Es wäre zwar nicht das erste und auch nicht das letzte Verbrechen an unterschätzten Comics gewesen – aber mit
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