Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
beeindruckend gut, weil die Hauptdarsteller perfekt gewählt wurden. Carey Mulligan verleiht ihrer Figur eine bleischwere Traurigkeit und Weisheit, die im Kontrast zu der verwirrten Naivität von Andrew Garfield als Tommy und der durchschaubaren Arroganz von Keira Knightleys Ruth immer wieder für unfassbare Momente der Empathie sorgt. Perfekt getroffen ist auch das Produktionsdesign; mehr noch als der Roman betont der Film die Tatsache, dass es sich bei diesen Kindern/Jugendlichen gewissermaßen um Secondhand-Menschen handelt. Und genau so werden sie auch dargestellt: die Pullover immer etwas zu groß und abgegriffen, die Frisuren etwas zu herausgewachsen, die Wohnzimmer etwas zu eklektisch zusammengestellt. Diese Geschöpfe leben simulierte Leben in ausrangierten Kleidern, bewohnen zurückgelassene Räume – und gerade das macht sie so exemplarisch und in ihrem existenziellen Streben so durchlässig und bedauernswert. Aber auch das Leben außerhalb der hermetischen Klongesellschaft erscheint nicht viel attraktiver – ein Ausflug ans Meer, in die Welt der »normalen« Menschen zeigt eine kalte, herbstlich-winterliche Welt der Indifferenz und menschlichen Distanz. Kein Mitgefühl, nirgends. Und wenn am Ende auch das letzte Fünkchen Hoffnung mit stoischem Gesichtsausdruck der Entscheider zunichtegemacht wird, dann ist das ein Moment der Bleakness, den man mit solch emotionaler Wucht lange nicht im Kino zu sehen bekam.
Man hat dem Film vorgeworfen, emotional distanziert und kalt seinen Figuren bei ihrem aussichtslosen Kampf zuzusehen. Eine Kritik, die in keinster Weise nachvollziehbar ist. Zwar verzichtet die Kinoversion weitgehend auf die Darstellung des Kontrastes zwischen unbeschwerter Kindheit und erschütternder Erfahrung des kurzen Erwachsenenlebens, die so viel von der Kraft des Romans
ausmacht. Doch dies geschieht ganz klar zugunsten eines stärkeren Fokus auf die unaufhaltsame Linearität und Ausweglosigkeit dieser ganz speziellen Leben – und dadurch auf ihre parabelhafte Qualität. Die drei Akte des Films zeigen in zunehmender farblicher Desaturierung, was diesen Menschen – und damit uns allen – eben geschieht. Dabei bleibt der Film ganz nah an seinen Figuren: Kalt ist nicht der Blick auf die Protagonisten, sondern die erschütternde Realität ihres Daseins. Dass ganz nebenbei und ganz unkonkret auch Fragen nach den Konsequenzen eines wild wuchernden medizinischen Fortschritts gestellt werden, die bis auf einen etwas ungeschickten Schlussmonolog nie explizit formuliert werden, macht Alles, was wir geben mussten zu einem der besten Science-Fiction-Filme des Jahres – und zu einer Literaturadaption, die man kaum besser gestalten kann. Ein Film, der in mehr als einer Hinsicht an die Nieren geht.
Lars Zwickies
ANOTHER EARTH
USA 2011 · Regie: Mike Cahill · Darsteller: Brit Marling, William Mapother
Als Kind ist Rhoda (Brit Marling), nachdem sie die Bilder des Jupiters gesehen hat, die Voyager zur Erde schickte, begeistert vom Weltall. Die meisten Menschen legen irgendwann ihr Faible für Weltraum, Dinos und Feuerwehr ab, doch Rhoda wird mit 17 vom MIT akzeptiert, sie will ihren Traum zum Beruf machen. Trunken vor Glück (und Sekt) setzt sie sich ins Auto und erfährt aus dem Radio, dass eine zweite Erde wie aus dem Nichts am Nachthimmel erschienen ist. Also beugt sie sich aus dem Fenster des fahrenden Wagens, um danach zu suchen – und verursacht einen Unfall, der mehrere Todesopfer fordert. Nach vier Jahren wird sie aus der Haft entlassen und beginnt mühsam, zurück ins Leben zu finden, während am Horizont omnipräsent und riesengroß die zweite Erde samt Trabant schwebt.
Und diese zweite Erde ist keineswegs nur eine halbgare esoterische Metapher. Cahill und Marling, die gemeinsam das Drehbuch verfassten, lassen keinen Zweifel daran, dass es diese Welt tatsächlich gibt. Den ganzen Film über laufen im Hintergrund Radio- und Fernsehsendungen, in denen darüber spekuliert wird, was es mit der zweiten Erde auf sich hat. Ist sie ein exaktes Spiegelbild? Ist sie eine alternative Parallelwelt? Welchen Einfluss hat das plötzliche Wissen um die Existenz der jeweils anderen auf beiden Welten? Und was passiert, falls man seinem Doppelgänger begegnet?
Und wenn die Erde nun ins Wasser fällt, was dann? Another Earth
Was folgt, ist ein stilles, intensives, exzellent gespieltes Drama über Schuld und Vergebung, das auf Lebensweisheiten aus dem Katalog von Hobbypsychologen verzichtet.
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